Wenn Frauen kochen
sich auf den Rücksitz stellten.
Nachdem sie drei Kartoffeln kleingeschnitten hatte, und Oliver in der gleichen Zeit zehn, entschied Aimee, dass sie eine Pause brauchte. Sonst würde sie sich noch aus Versehen die Finger abschneiden. Normalerweise verbrachte sie den Samstagnachmittag nicht mit Kochen. Üblicherweise würde sie jetzt im Keller ihres Apartmenthauses Wäsche waschen und zwischendurch mit dem Aufzug hochfahren, um sich sämtliche Glücksrad-Folgen der vergangenen Woche anzusehen, die sie alle aufgezeichnet hatte. Gameshows waren Aimees heimliche Leidenschaft und ihr größtes Laster. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich lieber vorstellte, selber zu gewinnen, oder sich damit zufriedengab, Sendung für Sendung lächelnde, erfolgreiche Teilnehmer anzusehen. Auf ihrem Federbett sitzend und Fernsehen guckend, den Wäschekorb auf der Bettkante und das Flüssigwaschmittel wieder an seinen Platz im Wäscheschrank gestellt, starrte Aimee gebannt auf den Bildschirm. Nach jedem größeren Gewinn verspürte sie eine tiefe Befriedigung. Und jedes Mal, wenn einer der Teilnehmer das bunte Rad auf »Bankrott« drehte, zog sich ihr der Magen zusammen. Die besten Momente waren die, wenn die Teilnehmer in Tränen ausbrachen, nachdem sie den Jackpot geknackt hatten. Erleichterung und Verzweiflung stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
»Sie können das Geld wirklich gebrauchen«, sagte Aimee laut, obwohl außer ihr niemand im Zimmer war. »Es macht für sie eine Menge aus.«
Manchmal kamen auch ihr die Tränen, und sie weinte gemeinsam mit den Gewinnern. Aimee spürte dann, wie sie ein wohliges Glücksgefühl umhüllte, und sie drückte auf »Pause«. Sie stellte sich all die wundervollen Dinge vor, die diese Menschen mit ihren Preisen tun konnten: die Reisen, die sie unternehmen würden, den Tisch, den sie endlich für das Esszimmer kaufen würden, der Sohn oder die Tochter im Teenageralter, die nun doch aufs College gehen konnten. Aimee sah all die Träume dieser Menschen und weinte. Aber das passierte meistens nur, wenn jemand hunderttausend Dollar gewonnen hatte.
Und dann, nachdem sie sich stundenlang Gewinnshows angesehen hatte und meinte, sie müsse wieder in die Wirklichkeit mit all ihren Unannehmlichkeiten zurückkehren, ermahnte sie die Spieler auf dem Bildschirm: »Vergesst nicht, die Steuern auf eure Gewinne zu zahlen!«
Spät in der Nacht, wenn sie versuchte, einzuschlafen, fragte sie sich oft, warum noch niemand eine Gameshow-Zeitschrift herausgab, in der man über die Gewinner von Wer wird Millionär und Deal or no Deal oder Glücksrad auf dem Laufenden gehalten wurde. Diese Schlaumeier-Sendung Jeopardy fand sie zwar auch nett, aber letzten Endes rührten sie vor allem die Durchschnittsmenschen, die den Atem anhielten für eine Chance, die ihnen ihr alltägliches Leben sonst nicht bieten konnte.
Diese Gameshow-Besessenheit hatte vor vielen Jahren begonnen, im Sommer nach dem Tod ihres Vaters, als sie und Sabrina nach dem Schwimmunterricht den Rest der Vormittage frei und nichts zu tun hatten. Gus behielt sie die meiste Zeit zu Hause, während sie Papiere durchging. Dazu schloss
sie sich immer in dem winzigen Raum ein, der das Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen war. Es mussten sehr viele Papiere gewesen sein.
Sabrina und sie gingen damals noch in die Grundschule und wurden eingefleischte Anhänger von Der Preis ist heiß , merkten sich die Preise von Reis- und Nudelfertiggerichten und Desinfektionsspray und planten ihre Reise quer durch das ganze Land, wenn sie achtzehn wurden und endlich an der Show teilnehmen durften. Sie würden vor dem Moderator und seinem Plinko-Rad stehen, und wenn sie clever genug boten, würden sie in der Finalrunde so richtig absahnen. Sabrina wollte einen Pkw gewinnen, einen Lkw und einen Wohnwagen. Aimee wünschte sich nur eine neue Wohnzimmergarnitur. Irgendetwas hübsch Geblümtes, um Gus aufzumuntern und sie aus diesem Arbeitszimmer herauszulocken.
Aimee legte das Messer hin und hob den Kopf. Sie fragte sich, wo ihre Mutter eigentlich die ganze Zeit steckte. Gus hatte einen Großteil des Nachmittags im Vorratsraum verbracht, weil sie angeblich dauernd irgendetwas suchte. Aimee war bestens vertraut mit den Kuppelversuchen ihrer Mutter und fragte sich langsam, was hier wirklich lief. Sie ging aus der Studioküche heraus, um Gus zu suchen.
»Was machst du denn so lange, Mom?«, fragte sie. »Du scheinst keine große Lust zu haben, mit uns zusammen zu
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