Wenn Frauen kochen
gewohnt, dass sie voller Energie eine Veranstaltung nach der nächsten plante.
Aber fünfzig zu werden, bedeutete vielleicht, dass es höchste Zeit war für Veränderungen.
»Klopf, klopf?« Hannah Levine, ihre gute Freundin und Nachbarin schob die weiße Terrassentür zur Küche auf. Die beiden hatten in den sieben Jahren ihrer Freundschaft eine ungezwungene Vertrautheit entwickelt. Das war nicht von Anfang an so gewesen. Als Gus an einem Sonntag im Sommer 1999 in das Herrenhaus zog, ging sie noch am selben Tag mit frisch gebackenem Himbeerpie zu sämtlichen Nachbarn. Sie sagte ihnen, wie sehr sie sich freue, jetzt in dieser Gegend zu wohnen. Es war geschickt, sich so einzuführen - typisch Gus - und zog nicht nur den Beginn vieler herzlicher Beziehungen, sondern auch zahlreiche Einladungen zum Abendessen nach sich. Doch dann war da noch Hannah gewesen, die direkt nebenan in einem leuchtend weiß gestrichenen Cottage lebte, das einst das Kutscherhaus von Gus’ stattlichem Heim gewesen war. In verwaschenen grauen Jogginghosen, das mittellange rote Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, hatte Hannah die Tür geöffnet. Ungeschminkt und blass musterte sie Gus misstrauisch durch ihre dicken, dunklen Brillengläser.
»Welche Geschmacksrichtung?«, hatte sie gefragt und auf den Kuchen gezeigt, während sie nur durch den Türspalt hervorlugte. Damals war sie sogar noch dünner gewesen, mit vorstehendem Schlüsselbein und knochigen Handgelenken, und nervös hatte sie gewirkt, furchtbar nervös. Gus schloss sie auf der Stelle ins Herz: Sie musste Hannah einfach in ihre Sammlung von Hätschelkindern einreihen, die gepäppelt und umsorgt
werden wollten. Ihre Kollegen, ihre Töchter, deren Freunde: Jeder war für sie wie Ton, den sie formen wollte. In jenem ersten Sommer stand Gus regelmäßig mit Muffins oder Keksen vor der Tür des Kutscherhauses. Ihre Entschlossenheit, sich um Hannah zu kümmern, wuchs noch, als sie merkte, dass außer ihr niemand die zarte, misstrauische Frau in den Jogginghosen besuchte. Hannah war damals schon über dreißig und von daher zu alt, als dass Gus in ihr eine Tochter sehen konnte. Gus schwebte deshalb eine Art kleine Schwester vor. Stattdessen passierte aber etwas viel Besseres: Die beiden Frauen entdeckten, dass sie viele Gemeinsamkeiten hatten - Liebe zur Gartenarbeit, ungewöhnliche Arbeitszeiten, die Suche nach dem perfekten Keks mit Schokoladensplittern und beide waren Frühaufsteher. Auf dieser Basis entwickelte sich eine echte Freundschaft.
Gus erwachte meistens lange vor Tagesanbruch. Manche schätzen diese friedvollen Stunden, in denen man meint, allein auf der Welt zu sein. Nicht so Gus. Die Mädchen waren längst ausgezogen. Wenn es im Haus dann noch dunkel war und die Katzen irgendwo in einer Ecke dösten, fühlte Gus sich schrecklich einsam.
Glücklicherweise konnte sie jedoch damit rechnen, dass sich Hannah gegen sieben Uhr früh auf den Weg machte und die unsichtbare Grenze zwischen ihren beiden Grundstücken überquerte. Nachdem einmal klar geworden war, dass Gus nicht lockerlassen würde, hatte auch Hannah diese Freundschaft als die selbstverständlichste Sache der Welt akzeptiert. Von Anfang an war es nicht ihre Art, an die Tür zu klopfen, sondern einfach zu rufen und einzutreten. Bei jedem anderen hätte Gus dieses Verhalten als aufdringlich empfunden, bei Hannah schien es ihr jedoch völlig normal. Die beiden hatten unzählige Morgenstunden damit verbracht, in den weichen Polsterstühlen vor dem
Erkerfenster zu sitzen, Biscotti in ihren Espresso zu tunken und sich über das Gleiche wie am Vortag zu unterhalten. Das war genau der Punkt bei ihrer Freundschaft: Es ging darum, zusammen zu sein, und nicht darum, etwas zu tun. Von daher war ihre Beziehung bedingungslos und sehr entspannt.
Und es war etwas Kostbares: Hannah war die einzige wahre Freundin, die Gus gefunden hatte, seit sie so bekannt war. Es gab keine Gebrauchsanweisung fürs Berühmtsein. (Zumindest hatte man ihr beim CookingChannel keine zugesteckt.) In einer Gesellschaft, die nach Prominenten dürstete, war es keine große Kunst, aus einer verwitweten Mutter mit Unterhaltungsgeschick einen Kochguru zu machen. Und so hatte Gus bis zum Ende der 90er-Jahre eine beachtliche Fangemeinde aufgebaut, nicht zuletzt durch die Veröffentlichung der obligatorischen Kochbücher und -kalender. Immerhin konnten Sabrina und Aimee dadurch ausgezeichnete Schulen besuchen. Aber beim Knüpfen von Kontakten erwies sich
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