Wenn Frauen zu sehr lieben
hatte, war jetzt ein völlig anderer Mensch, einer, den sie weder kannte noch mochte. Sie stritten sich über sein Verhalten und ihre Nörgeleien. Sie versuchte, ihn nicht zu kritisieren, in der Hoffnung, sein Verhalten möge sich ändern. Diese Veränderung trat nicht ein. Sie war nicht dick wie ihre Mutter, und doch trieb er sich herum wie damals ihr Vater. Brenda geriet in Panik, weil sie hilflos war, nicht dazu fähig, ihr Leben in Ordnung zu bringen.
Brenda hatte schon als jugendliche Diebstähle begangen, aber das waren keine kleinen Beutezüge mit Freunden gewesen, sondern die heimlichen Aktionen einer Einzelgängerin. Was sie stahl, behielt und benutzte sie nur selten. Als unglückliche Ehefrau begann sie wieder zu stehlen, sich stellvertretend das von der Umwelt zu nehmen, was ihr nicht gegeben wurde: Liebe, Unterstützung, Verständnis, Akzeptanz. Aber das Stehlen isolierte sie noch mehr, denn damit musste sie ein weiteres düsteres Geheimnis wahren, noch ein Geheimnis, das sie mit Scham- und Schuldgefühlen belastete. Wiederum schützte sich Brenda durch äußere «Verpackung» davor, als die gesehen zu werden, die sie wirklich war: eine hochgradig neurotische, verängstigte, deprimierte und einsame junge Frau. Als sie wieder so dünn wie vorher war, nahm sie eine Stelle an. Brenda arbeitete vor allem, um sich die teure Kleidung leisten zu können, auf die sie so sehr angewiesen war. Sie bekam einige Aufträge als Fotomodell und hoffte, Raymond damit stolz auf sie zu machen. Obwohl er sich überall mit seiner Frau, dem Mannequin, brüstete, machte er sich nicht die Mühe, auch nur ein einziges Mal dabei zu sein, wenn sie über den Laufsteg schritt. Brenda sehnte sich danach, von Raymond anerkannt zu werden, da aber diese Anerkennung ausblieb, sank ihr ohnehin schon geringes Selbstwertgefühl noch weiter. Je weniger er ihr gab, desto mehr brauchte sie von ihm. Sie arbeitete daran, ihre äußere Erscheinung zu perfektionieren, hatte aber ständig das Gefühl, ihr fehle es an der geheimnisvollen Attraktivität, die von all den dunkelhaarigen Schönheiten ausging, mit denen Raymond sie betrog. Sie strengte sich noch mehr an, dünner zu werden, weil sie Schlankheit mit Perfektion gleichsetzte. Auch im Haushalt wurde sie immer perfektionistischer, und bald kreiste ihr gesamtes Leben nur noch um ihre verschiedenen Zwangshandlungen: Putzen, Stehlen, Essen, Erbrechen. Während Raymond sich in der Gegend herumtrieb, putzte Brenda das Haus bis spätnachts, ging dann mit Schuldgefühlen ins Bett und stellte sich schlafend, sobald sie ihn sein Auto in die Garage fahren hörte.
Raymond beschwerte sich über Brendas «Ordnungsfimmel». Wenn er abends nach Hause kam, ganz gleich, ob früh oder spät, machte er auf geradezu aggressive Weise ihre Bemühungen um ein gepflegtes Heim zunichte. Infolgedessen wartete Brenda immer ungeduldiger darauf, dass er endlich wieder fort war und sie alles säubern und aufräumen konnte, was er in Unordnung gebracht hatte. Wenn er abends fortging, um zu trinken und sich zu amüsieren, verspürte sie Erleichterung.
Ihre Verhaftung wegen Ladendiebstahls war zweifellos ein Glück, denn die dadurch ausgelöste Krise brachte sie in die Therapie. Dort erst konnte sie allmählich erkennen, was aus ihrem Leben geworden war. Eigentlich hatte sie Raymond schon lange Zeit vorher verlassen wollen; nur ihr zwanghaftes Bedürfnis, die Beziehung zu retten, indem sie immer perfekter wurde, hatte sie daran gehindert. Aber je weiter ihr Ablösungsprozess voranschritt, desto mehr versuchte Raymond, sie an der endgültigen Trennung von ihm zu hindern. Er schickte Blumen, rief sie an, kam sogar überraschend bei ihrer Arbeitsstelle vorbei – mit Konzertkarten in der Hand. Ihre Mitarbeiter, die Raymond erst in dieser Phase kennenlernten, konnten überhaupt nicht verstehen, dass Brenda einen so entzückenden, anhänglichen Mann verlassen wollte. Erst nachdem zwei von großen Hoffnungen begleitete Versöhnungsversuche fehlgeschlagen waren, erkannte Brenda, dass Raymond nur das wollte, was er nicht haben konnte. Sobald sie wieder als Eheleute zusammenlebten, gingen bei ihm die Frauengeschichten wieder los. Als sich Brenda zum zweiten Mal von ihm trennte, sprach sie auch seine Probleme mit Alkohol und Drogen an. Um ihr zu beweisen, dass sie im Unrecht war, suchte er sogar eine Drogenberatungsstelle auf und lebte zwei Monate lang alkohol- und drogenfrei. Daraufhin kam es erneut zur Versöhnung zwischen ihnen,
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