Wenn Frauen zu sehr lieben
gewöhnlich eine zweite, unausgesprochene: «Woher soll ich wissen, ob du mich auch dann magst, wenn ich dir zeige, wer ich wirklich bin?» Ich versuchte, in meiner Antwort auf beide Fragen einzugehen.
«Selbstverständlich kostet eine Therapie Zeit und Geld. Aber schon zur ersten Sitzung kommt doch überhaupt nur jemand, in dessen Leben etwas geschieht, das große Angst macht oder sehr wehtut. Er kommt zur Therapie, weil er versucht hat, dieses Etwas in den Griff zu kriegen, dazu aber nicht in der Lage war. Niemand schaut zufällig bei einem Therapeuten herein, um nur mal eben an einer Sitzung teilzunehmen. Sicher haben auch Sie sehr lange darüber nachgedacht, bevor Sie sich zu diesem Schritt entschlossen.»
Meine Antwort schien sie ein wenig zu erleichtern – mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück.
«Wahrscheinlich hätte ich so etwas schon vor fünfzehn Jahren tun sollen, vielleicht sogar noch früher, aber ich wusste ja nicht, dass ich Hilfe brauchte. Bei mir schien doch immer alles in Ordnung zu sein, und in gewisser Hinsicht stimmte das sogar – selbst heute noch. Meine Arbeit macht mir Freude; als Treuhänderin bin ich in einer guten Position und verdiene wirklich nicht schlecht.» Plötzlich brach sie ab und fuhr nach einer kleinen Pause sehr nachdenklich fort: «Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich zwei Leben. Ich gehe zur Arbeit, und da bin ich intelligent und tüchtig. Ich werde geachtet und um Rat gebeten; ich trage eine Menge Verantwortung und fühle mich erwachsen, tatkräftig und selbstsicher.» Sie blickte zur Decke hoch und schluckte, um ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen. «Dann komme ich nach Hause, und mein Leben ist wie ein mieser Fortsetzungsroman. Wenn’s ein Buch wäre, würde ich es nicht lesen wollen – ich mag nämlich keine geschmacklosen Bücher! Und doch stecke ich mit Haut und Haaren in diesem Leben. Ich habe schon vier Ehen hinter mir und bin erst 35 .
Erst!
Mein Gott, dabei fühle ich mich so alt. In mir wächst die Angst, dass ich mein Leben überhaupt nicht mehr in Ordnung bringen kann und die Zeit knapp wird. Ich bin nicht mehr so jung wie früher und auch nicht mehr so hübsch. Vielleicht will mich ja kein Mann mehr, vielleicht habe ich schon all meine Chancen vertan und muss jetzt für immer allein bleiben.» Ihre Stimme klang ängstlich, und die tiefen Sorgenfalten auf ihrer Stirn schienen ihre Angst noch zu unterstreichen. Sie schluckte mehrmals und blinzelte. «Welche meiner vier Ehen die schlimmste war, kann ich eigentlich nicht sagen. Denn alle verliefen katastrophal, jede auf ihre Weise.
Mit zwanzig habe ich zum ersten Mal geheiratet. Worauf ich mich bei diesem Mann einließ, wusste ich eigentlich schon, als ich ihn kennenlernte: Er war ein wilder Kerl, ein Rumtreiber. Und das blieb er auch, selbst als wir verheiratet waren. Ich hatte geglaubt, die Ehe würde ihn verändern, aber das war ein Irrtum. Als dann unsere Tochter auf die Welt kam, war ich überzeugt, jetzt würde er ein bisschen ruhiger werden, aber genau das Gegenteil trat ein: Er blieb sogar noch häufiger, noch länger weg. Und wenn er doch einmal zu Hause war, behandelte er uns gemein. Ich konnte es aushalten, wenn er mich anschrie, aber als er damit anfing, die kleine Autumn für nichts und wieder nichts zu bestrafen – ging ich dazwischen. Als das nichts half, habe ich ihn schließlich verlassen. Es war nicht leicht: ich hatte ein kleines Kind und musste Arbeit finden. Er zahlte nämlich keine Unterstützung, und aus lauter Angst vor möglichen Racheakten unternahm ich keine gerichtlichen Schritte gegen ihn. Nach Hause konnte ich nicht zurück, denn dort war es genauso schlimm gewesen wie in meiner Ehe. Meine Mutter ließ sich von meinem Vater durch Schläge und Beschimpfungen fertigmachen, und wir Kinder wurden auch nicht besser behandelt. Schon als Kind bin ich oft weggelaufen. Und einmal benutzte ich halt das Weglaufen zum Heiraten. Ich wollte meinem Elternhaus unbedingt entkommen. Zurück konnte ich also nicht.
Nach der Trennung von meinem ersten Mann dauerte es allerdings noch zwei Jahre, bevor ich den Mut aufbrachte, mich scheiden zu lassen. Solange ich keinen neuen Mann hatte, kam ich doch nicht ganz von ihm los. Der Anwalt, den ich schließlich mit der Scheidung beauftragte, wurde mein Ehemann Nummer zwei. Er war erheblich älter als ich und frisch geschieden. Ich glaube nicht, dass ich wirklich in ihn verliebt war, aber ich wollte es sein. Für mich war er jemand, der sich
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