Wenn Frauen zu sehr lieben

Grund der Triebkräfte, die unsere Kommunikation mit Männern auf jeder Ebene, einschließlich der sexuellen, bestimmen, kann eine schlechte Beziehung dazu beitragen, dass Sex für uns zu einem aufregenden, leidenschaftlichen, verlockenden Erlebnis wird. Wie sollen wir anderen Menschen – Freunden oder der Familie – erklären, warum ein relativ unbedeutender, noch nicht einmal besonders sympathischer Mann solch intensive Gefühle von Sehnsucht und Verlangen in uns auslösen kann, während ein in jeder Hinsicht passenderer Mann uns kaltlässt? Es ist schwierig einzugestehen, dass wir in Wahrheit in einen Traum verliebt sind – den Traum, all die positiven Eigenschaften wie Liebe, Fürsorge, Aufmerksamkeit, Anstand und Würde, die nach unserer festen Überzeugung in diesem Mann schlummern, durch die Kraft unserer Liebe erwecken zu können. Frauen, die zu sehr lieben, sagen sich oft, ihr Partner sei vorher nie richtig geliebt worden, weder von seinen Eltern noch von früheren Ehefrauen oder Freundinnen. Wir glauben, dass er dadurch Schaden erlitten hat, und übernehmen bereitwillig die Aufgabe, für alles Ersatz zu leisten, was ihm im Leben, lange bevor wir ihn überhaupt kannten, entgangen ist. In gewisser Hinsicht spielen wir das Märchen von Dornröschen nach, allerdings mit vertauschten Rollen: Dornröschen konnte nur durch einen Kuss des Mannes, der die «wahre Liebe» verkörperte, von ihrem Bann erlöst werden; wir wollen die Retterin sein, die den geliebten Mann von seinem Bann erlöst, ihn aus seinem (vermeintlichen) Gefängnis befreit. Wir deuten seine emotionale Unzugänglichkeit, seine Aggressivität oder Depressivität oder Grausamkeit oder Gleichgültigkeit oder Gewalttätigkeit oder Unehrlichkeit oder Abhängigkeit als Zeichen dafür, dass er nicht genug geliebt wurde. Wir setzen unsere Liebe seinen Fehlern, seinem Versagen, ja selbst seiner seelischen Erkrankung entgegen. Wir sind entschlossen, ihn durch die Macht unserer Liebe zu retten.
    Sex gehört zu den wichtigsten Methoden, die wir anwenden, um ihn durch unsere Liebe zu heilen. Bei jedem sexuellen Kontakt schwingt unser Bestreben mit, ihn zu ändern. Mit jedem Kuss, jeder Berührung bringen wir zum Ausdruck, wie einzigartig und wertvoll er ist, wie sehr er bewundert und geschätzt wird. Wir glauben fest daran, dass er nur erst von unserer Liebe überzeugt sein muss, um sich in sein wirkliches Selbst zu verwandeln, in die Verkörperung all dessen, was wir von ihm erwarten, was wir wollen und brauchen.
    In gewisser Hinsicht ist Sex unter diesen Umständen einfach deshalb gut, weil er gut sein muss; wir verwenden viel Energie darauf, ihn zu einer intensiven, aufregenden, befriedigenden Erfahrung zu machen. Ganz gleich, welche Reaktion wir unserem Partner entlocken – sie ermutigt uns dazu, uns noch mehr anzustrengen, noch liebevoller, noch überzeugender zu sein. Hinzu kommt, dass beim Orgasmus eine Entladung sowohl körperlicher als auch seelischer Spannungen stattfindet. Während manche Frauen sexuellen Kontakt mit ihrem Partner meiden, wenn das Verhältnis zu ihm konfliktreich und spannungsgeladen ist, können andere Frauen unter denselben Umständen Sex als eine sehr effektive Methode sehen, möglichst viel von dieser Anspannung zu lösen, und sei es auch nur kurzfristig. Einer Frau, deren Beziehung insgesamt unbefriedigend ist, bietet Sex vielleicht die einzige Befriedigung, die einzige Möglichkeit einer positiven Begegnung mit ihrem Partner.
    Die Intensität der Spannungsentladung, die sie auf sexueller Ebene erlebt, steht vielleicht in direktem Zusammenhang mit dem Grad des Unbehagens, das sie generell in der Beziehung mit ihrem Partner verspürt. Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Viele Paare – ob sie nun eine gute Beziehung zueinander haben oder nicht – empfinden den sexuellen Kontakt nach einem Streit als besonders gut, besonders intensiv. Dafür gibt es zwei Gründe: zum einen die bereits erwähnte Spannungsentladung, zum anderen die gewaltige Überwindung, die es kostet, nach einem Streit aufeinander zuzugehen und somit ein Bekenntnis zu der Beziehung abzugeben. Ein besonders angenehmes und befriedigendes sexuelles Erlebnis nach einem Streit kann als der Versuch angesehen werden, die Beziehung insgesamt zu bestätigen: «Sieh dir an, wie nahe wir uns sind, wie liebevoll wir miteinander umgehen können, wie stark die Gefühle zwischen uns sein können. Wir gehören wirklich zusammen.»
    Wenn zwei Menschen ihre sexuelle