Wenn Frauen zu sehr lieben
also ein Glas Saft, und wir gingen zurück und unterhielten uns, bis die Pause zu Ende war. Wir erzählten einander, woher wir stammten und wo wir arbeiteten, und dann sagte er: «Ich würde gern heute Abend mit Ihnen essen gehen.» Wir verabredeten uns am Fischereihafen. Als ich ihn dort abends wiedertraf, machte er einen sorgenvollen Eindruck. Er sagte, er versuche gerade zu entscheiden, ob er sich eher romantisch oder lieber praktisch geben sollte, denn er hätte nur genug Geld dabei, um mich entweder zu einer Hafenrundfahrt oder zum Abendessen einzuladen. Klar, dass ich gleich in die Bresche sprang. Ich sagte: «Wie wär’s damit? Jetzt machen wir die Hafenrundfahrt, und ich lade Sie anschließend zum Essen ein.» Genau das taten wir dann auch, und ich hielt mich für schlau und tüchtig, weil ich es ihm ermöglicht hatte, seine beiden Vorhaben zu verwirklichen.
Die Bootsfahrt war sehr schön. Die Sonne ging gerade unter, und wir redeten angeregt miteinander. Er erzählte mir, wie viel Angst er davor habe, jemandem richtig nahe zu sein, dass er in einer Beziehung stecke, die zwar schon jahrelang bestehe, aber ganz gewiss nicht das Richtige für ihn sei. Er bleibe eigentlich nur bei seiner Freundin, weil er ihren sechsjährigen Sohn so gern habe und die Vorstellung nicht ertragen könne, dass dieser Junge vielleicht ohne männliches Vorbild aufwachsen müsse. Er gab mir auch ziemlich deutlich zu verstehen, dass er sexuelle Schwierigkeiten mit dieser Frau hatte, weil er sie nicht allzu attraktiv fand.
Und ich war Feuer und Flamme. Ich dachte: Das ist ein wunderbarer Mann, der bisher einfach noch nicht die richtige Frau gefunden hat. Offensichtlich ist er sehr einfühlsam und aufrichtig. Für mich spielte keine Rolle, dass er 37 Jahre alt war und wahrscheinlich etliche Male die Chance gehabt hatte, eine gute Beziehung aufzubauen. Dass vielleicht, nur vielleicht, mit ihm etwas nicht stimmte.
Er hatte sozusagen eine Liste seiner Mängel aufgestellt und mir in die Hand gedrückt: Impotenz, Angst vor Nähe und finanzielle Probleme. Und seinem Verhalten nach zu urteilen, war er auch noch ziemlich träge. Das herauszufinden wäre niemandem schwergefallen. Aber ich war wie verzaubert von der Vorstellung, dass ich diejenige sein könnte, die seinem Leben eine andere Richtung geben würde – und deshalb ließ ich mich durch seine Worte und sein Verhalten nicht beirren.
Wir gingen zum Essen, und natürlich zahlte ich. Er protestierte und sagte, das würde ihm sehr viel ausmachen, aber ich zwinkerte ihm einfach zu und meinte, er könne mich ja besuchen kommen und zum Essen ausführen – dann wären wir quitt. Das hielt er für eine großartige Idee. Er wollte genau wissen, wo ich lebte, wo er wohnen könnte, wenn er zu Besuch käme, wie es mit den Arbeitsmöglichkeiten in meinem Wohnort stünde. Fünfzehn Jahre früher war er Lehrer gewesen, und nach häufigem Stellenwechsel – jedes Mal mit finanziellen Einbußen und sozialem Abstieg verbunden, wie er zugab – arbeitete er nun in einer ambulanten Beratungsstelle für Alkoholiker. Auch dies machte einen sehr positiven Eindruck auf mich. Ich selbst war mehrmals mit Alkoholikern zusammen gewesen, und diese Beziehungen hatten viel in mir zerstört. Aber bei ihm bestand diese Gefahr nicht – jemand, der Alkoholiker behandelte, konnte doch unmöglich selbst einer sein! Unsere Bedienung – eine ältere Frau mit rauer Stimme – erinnerte ihn an seine Mutter, die Alkoholikerin war, wie er mir erzählte. Ich wusste zwar, dass Kinder von Alkoholikern häufig selbst alkoholkrank werden, aber er trank den ganzen Abend über nur Mineralwasser. Ich steigerte mich vollkommen in den Gedanken hinein:
Das ist der richtige Mann für mich.
Seine zahlreichen Stellenwechsel, die Tatsache, dass es mit seiner Karriere bergab ging – das alles störte mich nicht. Er hatte eben einfach Pech gehabt. Es schien ihn regelrecht zu verfolgen, aber dadurch gewann er für mich nur an Reiz. Er tat mir leid.
Er erzählte mir ausführlich, wie anziehend er mich fände, wie wohl er sich in meiner Gegenwart fühle, wie gut wir eigentlich zusammenpassten. Ich hatte genau dasselbe Gefühl. Als wir uns an diesem Abend trennten, verhielt er sich wie ein perfekter Gentleman, während
ich ihn
zum Abschied zärtlich küsste. Ich fühlte mich so sicher; endlich hatte ich einen Mann getroffen, der sexuell keinen Druck auf mich ausübte, der einfach mit mir zusammen sein wollte, weil er meine Gegenwart
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