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Wenn Frauen zu sehr lieben

Wenn Frauen zu sehr lieben

Titel: Wenn Frauen zu sehr lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Norwood
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genoss. Ich schloss aus seinem Verhalten nicht, dass er echte sexuelle Probleme hatte und deshalb versuchte, körperlichen Kontakt mit mir zu vermeiden. Wahrscheinlich glaubte ich, dass ich – bei entsprechender Gelegenheit – mit seinen etwaigen Schwierigkeiten schon fertigwerden würde.
    Am nächsten Tag ging das Seminar zu Ende. Hinterher sprachen wir darüber, wann er mich besuchen würde. Er hatte die Idee, in der Woche vor seinen Abschlussprüfungen zu kommen und bei mir zu wohnen. Doch er wollte diesen Besuch dazu nutzen, sich auf das Examen vorzubereiten. Ich dagegen hatte noch einige Tage Resturlaub und hätte mir während dieser Zeit gerne freigenommen, um ihm die Stadt zu zeigen. Er sagte nein; seine Prüfungen gingen vor. Nach kürzester Zeit dachte ich schon nicht mehr an die Dinge, zu denen ich Lust hatte, sondern versuchte nur noch, seine Wünsche zu erfüllen. In mir wuchs die Angst, dass er überhaupt nicht kommen würde, obwohl ich von der Vorstellung, zur Arbeit zu gehen, während er in meiner Wohnung saß und lernte, nicht gerade begeistert war. Aber ich hatte das Bedürfnis, ihm alles recht zu machen, und glaubte bereits, es wäre meine Schuld, wenn er sich bei mir nicht wohl fühlte. Sein anfängliches, deutlich bekundetes Interesse an mir warmzuhalten war für mich wichtiger als alles andere, denn wenn es jetzt abkühlte, hatte ich meine Chance vertan. Ich überschlug mich geradezu, nur um den Kontakt zu ihm aufrechtzuerhalten.
    Als wir uns an diesem Tag trennten, war noch nichts geklärt, obwohl ich für all die Probleme, die mit seinem Besuch zusammenhingen, die verschiedensten Lösungen vorgeschlagen hatte. Nach dem Abschied fühlte ich mich deprimiert, einfach deshalb, weil es mir nicht gelungen war, alles zu regeln und ihn zufrieden zu stellen.
    Am nächsten Tag rief er an. Danach ging es mir richtig gut. Ich fühlte mich wie erlöst.
    Einen Tag später rief er mich abends um halb elf an und fragte mich, was er denn nun eigentlich mit seiner jetzigen Freundin machen sollte. Darauf wusste ich keine Antwort, und das sagte ich ihm auch. Allmählich fühlte ich mich immer unbehaglicher. Ich hatte das Gefühl, in gewisser Weise manipuliert zu werden, aber diesmal reagierte ich anders als sonst: Ich versuchte nicht, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Er begann, mich anzuschreien, und legte dann auf. Ich war völlig verstört.
Vielleicht habe ich einen großen Fehler gemacht
, dachte ich.
Ich war einfach nicht hilfsbereit genug.
Und ich verspürte den starken Impuls, ihn zurückzurufen und mich dafür zu entschuldigen, dass ich ihn verärgert hatte.
    Ich war früher ja mehrmals mit Alkoholikern zusammen gewesen, und deshalb ging ich regelmäßig zu Al-Anon-Meetings; was ich dort gelernt hatte, hielt mich davon ab, ihn anzurufen und die Schuld für diesen Vorfall auf mich zu nehmen.
    Ein paar Minuten später rief er wieder an und entschuldigte sich für sein Verhalten. Dann stellte er mir noch einmal die gleiche Frage, auf die ich noch immer keine Antwort wusste. Wieder schnauzte er mich an, wieder legte er auf. Diesmal war mir aufgefallen, dass er getrunken hatte. Dieser innere Drang, ihn anzurufen, um alles wieder ins Gleichgewicht zu bringen, war immer noch da. Wenn ich damals am Telefon tatsächlich die Verantwortung für ihn übernommen hätte, dann wären wir jetzt vielleicht zusammen – die Konsequenzen möchte ich mir lieber nicht ausmalen.
    Einige Tage später erhielt ich einen höflich-distanzierten Brief von ihm. Er schrieb, er sei im Moment noch nicht dazu bereit, eine neue Beziehung einzugehen – kein Wort über sein Verhalten am Telefon. Und das war das Ende.
    Ein Jahr vorher wäre es erst der Anfang gewesen. Er gehörte zu der Sorte Mann, die ich immer unwiderstehlich gefunden hatte: gut aussehend, charmant, ein bisschen hilflos – ein Mann, der seine Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft hat. Wenn eine Frau bei einem unserer Al-Anon-Meetings erzählt, dass sie nicht von einem Mann, sondern von seinen Möglichkeiten fasziniert war, müssen wir immer lachen; denn jede von uns hat sich schon einmal nur deshalb für einen Mann interessiert, weil sie sicher war, dass er ihre Hilfe und ihre Ermutigung brauchte, um das Beste aus seinem Leben zu machen. Ich wusste nur allzu gut, was es heißt, Hilfe anzubieten, Freude zu bereiten, alle Arbeit allein zu machen und die gesamte Verantwortung für eine Beziehung zu übernehmen. Als Kind hatte ich das bei meiner Mutter

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