Wenn Frauen zu sehr lieben
Informationen darüber, wer er war und was er empfand, aber ihr Bedürfnis, diese Herausforderung anzunehmen, war so stark, dass sie seine Aggressivität und Bedrohlichkeit nicht wahrnahm, sondern ihn als ein hilfloses Opfer sah, das Verständnis brauchte. Die meisten Frauen würden um einen Mann mit solchen Charakterzügen einen großen Bogen machen, aber Chloë wollte nicht wahrhaben, was sie sah. Sie hatte ein zu starkes Bedürfnis, sich auf ihn und das, was er verkörperte, einzulassen.
Warum ist es nun eigentlich so schwierig, eine solche Beziehung zu beenden, sich von dem Partner zu trennen, der einen Schritt für Schritt in diesem schmerzhaften und destruktiven Tanz weiterzerrt? Als Faustregel gilt: Je schwieriger es für Sie ist, eine Beziehung zu beenden, die Ihnen nicht gut tut, desto mehr Elemente Ihrer Kindheitsproblematik sind darin enthalten. Indem Sie zu sehr lieben, versuchen Sie, Ihre alten Gefühle von Angst, Wut, Frustration und Schmerz zu überwinden. Die Beziehung abzubrechen hieße demnach, auf die wertvolle Chance zu verzichten, für erlittenes Unrecht entschädigt zu werden und endlich Ruhe zu finden.
Während diese unbewussten Motive den starken Drang erklären können, trotz aller damit verbundenen Qualen am Partner festzuhalten, werden sie der Intensität dessen, was bewusst erlebt wird, kaum gerecht. Eine solche Art von Beziehung enthält für die darin verwickelte Frau eine immense seelische Explosionskraft. Wenn sie versucht, die Verbindung zu dem Mann, den sie zu sehr liebt, abzuschneiden, fühlt sie sich, als würden tausend Volt schmerzhafter Energie durch ihre Nerven rasen und sie verschmoren. Das uralte Gefühl von Leere steigt in ihr auf, hüllt sie ein und zieht sie dorthin, wo ihre kindliche Angst vor dem Alleinsein noch immer haust. Sie glaubt, in ihren Schmerzen ertrinken zu müssen.
Diese Dynamik – die Funken, die Energie, der Drang, bei dem einen Menschen zu sein und alles in Ordnung zu bringen ist in diesem Ausmaß in gesünderen, befriedigenderen Beziehungen nicht anzutreffen, denn diese beinhalten eben nicht all die Chancen, alte Rechnungen zu begleichen und die Oberhand über Erlebnisse zu gewinnen, die einstmals überwältigend waren. Worum es Frauen, die zu sehr lieben, eigentlich geht, ist ihnen nicht bewusst: Es ist die erneute Chance, Gerechtigkeit zu erfahren, verlorene Liebe zu gewinnen und vorenthaltene Anerkennung zu erlangen.
Deshalb sind wir auch normalerweise nicht an Männern interessiert, denen unser Wohlergehen, unser Glück, unsere Zufriedenheit wichtig ist und mit denen der Aufbau einer guten Beziehung möglich wäre. Solche Männer treten durchaus in unser Leben. Diejenigen meiner Klientinnen, die zu sehr geliebt haben, konnten sich alle an einen Mann, vielleicht sogar mehrere Männer erinnern, die sie versonnen mit Worten beschrieben wie: «richtig nett … so herzlich … hat sich wirklich für mich interessiert …» Nach einem ironischen Lächeln kam gewöhnlich die Frage: «Warum habe ich es eigentlich nicht mit ihm probiert?» Und häufig wussten diese Frauen auch gleich die Antwort: «Irgendwie hat er mich nie so fasziniert. Wahrscheinlich war er einfach zu nett.»
Besser formuliert, könnte die Antwort so lauten: Seine Aktionen und unsere Reaktionen, seine Bewegungen und unsere Gegenbewegungen fügten sich nicht zu einem vollendeten Paartanz zusammen. Obwohl seine Gegenwart uns vielleicht Sicherheit, Anregung und Bestätigung zu geben vermag, nehmen wir diese Art von Beziehung meist nicht wichtig genug, um sie ernsthaft voranzutreiben. Stattdessen wird ein solcher Mann entweder binnen kurzer Zeit fallen gelassen, ignoriert oder bestenfalls in die «Nur-ein-Freund»-Kategorie verwiesen, weil er nicht dieses gewisse Herzklopfen, den Knoten im Bauch hervorzurufen vermochte – alle jene heftigen Anzeichen, die wir für wahre Liebe halten.
Manchmal verbleiben diese Männer viele Jahre lang in der «Freund»-Kategorie. Wir treffen sie ab und an, um uns bei ihnen über die neuesten Demütigungen und Verletzungen in unserer gegenwärtigen Beziehung auszuweinen. Diese verständnisvolle, einfühlsame Sorte Mann kann uns einfach nicht das Drama, den Schmerz und die Spannung bieten, die wir als angemessen und «richtig» empfinden: Denn was wir als schlecht empfinden sollten, empfinden wir mittlerweile als gut, und was wir als gut empfinden sollten, empfinden wir mittlerweile als fremdartig, verdächtig und unangenehm. Durch langjährige
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