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Wenn Frauen zu sehr lieben

Wenn Frauen zu sehr lieben

Titel: Wenn Frauen zu sehr lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Norwood
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fühlte
    Als Bernard sich bei ihrer ersten Verabredung betrank und anschließend das Bewusstsein verlor, schien Rita ihm zu versprechen, er könne mit ihrer Hilfe Aufschub bekommen, bevor er kopfüber in die Selbstzerstörung stürzte, denn sie sorgte dafür, dass er nicht leiden musste. Eine Weile sah es so aus, als könne sie ihn tatsächlich vor den verheerenden Auswirkungen seiner Sucht beschützen – als könne sie ihn liebevoll und unaufdringlich retten. Diese scheinbar Schutz gewährende Haltung diente in Wirklichkeit dazu, die Zeitspanne zu verlängern, in der ihr Partner mit seiner Sucht leben konnte, ohne die Konsequenzen spüren zu müssen; indem sie ihn abschirmte und tröstete, half sie ihm dabei, länger krank zu bleiben. Ein Abhängiger, der seine Sucht auslebt, sucht nicht nach jemandem, der ihm dabei helfen könnte, gesund zu werden. Ihm ist vielmehr an einem Menschen gelegen, bei dem er krank bleiben und sich dennoch sicher fühlen kann. Eine Zeit lang war Rita für Bernard also die perfekte Partnerin – bis er so krank wurde, dass nicht einmal sie das, was er sich antun wollte, hätte ungeschehen machen können.
    Nachdem sie ihn aufgespürt und in eine Entzugstherapie gebracht hatte, gab Bernard das Trinken auf und wurde allmählich gesund. Rita aber hatte sich zwischen ihn und seine Droge gestellt. Sie spielte nicht länger die gewohnte Rolle der Partnerin, die Trost spendet und alles in Ordnung bringt, und er nahm ihr übel, dass sie ihn so offensichtlich betrogen hatte, aber auch, dass sie sich genau in der Situation als so stark erwies, als er sich besonders schwach und hilflos fühlte.
    Es spielt keine Rolle, wie gut oder schlecht wir etwas tun – wir alle brauchen das Gefühl, dass wir die Verantwortung für unser eigenes Leben tragen. Hilft uns jemand dabei, nehmen wir diesem Menschen oft seine Macht und Überlegenheit übel, die mit der Hilfeleistung einhergehen. Außerdem braucht ein Mann häufig das Gefühl, stärker als seine Partnerin zu sein, um sie sexuell begehrenswert zu finden. Als Rita also Bernard half, indem sie ihn in ein Krankenhaus brachte, wurde dadurch im Grunde erst klar, wie schwer krank er war, und ihre Geste echter Zuneigung untergrub zumindest eine Zeit lang sein sexuelles Interesse an ihr.
    Neben dem emotionalen Gesichtspunkt gibt es hier möglicherweise auch einen physiologischen Faktor, der mitbedacht werden sollte. Wenn ein Mann, der Alkohol und andere Drogen in einer solchen Menge konsumiert hat wie Bernard, seinem Organismus diese Substanzen nun plötzlich nicht mehr zuführt, dann kann es ein ganzes Jahr oder länger dauern, bis sein Körper sich umgestellt hat und er wieder in der Lage ist, normale – das heißt nicht von einer Droge beeinflusste – sexuelle Reaktionen zu zeigen. Während der Phase körperlicher Umgewöhnung mag es einem Paar also sehr schwerfallen, zu verstehen und zu akzeptieren, dass es dem Mann an sexuellem Interesse mangelt beziehungsweise dass er zum Geschlechtsverkehr nicht fähig ist.
    Aber auch das Gegenteil tritt häufig ein. Bei einem Süchtigen, der gerade einen Entzug hinter sich hat, kann sich ein ungewöhnlich starker Sexualtrieb entwickeln – vermutlich aufgrund eines gestörten hormonellen Gleichgewichts, wahrscheinlich aber auch aus psychologischen Gründen. Ein junger Mann, der erst seit ein paar Wochen drogen- und alkoholfrei lebte, formulierte es so: «Sex ist mittlerweile meine einzige Möglichkeit, einen Rausch zu erleben.» Somit wird Sex gelegentlich auch als Ersatz für den Drogengebrauch eingesetzt, mit dem Ziel, die Angst zu lindern, die in diesem Frühstadium des drogenfreien Lebens häufig auftritt.
    Sich von Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit zu befreien, stellt für jedes betroffene Paar einen äußerst schwierigen Prozess dar. Bernard und Rita werden diese Übergangszeit vielleicht gemeinsam überstehen, obwohl sie ursprünglich zueinander fanden, weil ihre beiden Krankheiten – Alkoholismus und Co-Alkoholismus – die jeweilige Ergänzung brauchten. Aber um zu einem Paar zu werden, das ohne praktizierte Sucht miteinander leben kann, müssen sie eine Zeit lang getrennte Wege gehen, damit sich jeder auf seine eigene Heilung konzentrieren kann. Sie müssen in sich hineinsehen und sich selbst annehmen – denn genau das haben sie mit aller Kraft zu umgehen versucht, indem sie einander liebten und miteinander tanzten.
    Greg: 38  Jahre alt; seit vierzehn Jahren mit Hilfe von Narcotics Anonymous

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