Wenn Frauen zu sehr lieben
Sonntagnachmittags, während der Fernsehübertragung eines entscheidenden Footballspiels, läutete das Telefon. Sue war mit Tim aus dem Haus gegangen, und ich weiß noch, wie ärgerlich ich darüber war, dass ich ausgerechnet jetzt gestört wurde, dass ich aufstehen und dem Fernseher den Rücken kehren musste. Der Anruf kam von meinem Bruder. Er teilte mir mit, mein Vater sei an einem Herzinfarkt gestorben.
Ich fuhr allein zur Beerdigung. Sue und ich hatten uns arg gestritten, und ich wollte sie daher nicht mitnehmen. Darüber bin ich heute noch froh. Dieses Ereignis hat mein ganzes Leben verändert. Da stand ich nun: auf der Beerdigung meines Vaters, mit dem ich niemals richtig hatte reden können, und gleichzeitig kurz vor meiner zweiten Scheidung, weil ich noch nicht einmal wusste, wie ich mit meiner Frau umgehen sollte. Ich hatte das Gefühl, unendlich viel zu verlieren, und konnte doch nicht verstehen, weshalb ausgerechnet mir das alles zustieß. Ich war doch ein netter Kerl, ich arbeitete hart, ich tat niemandem etwas zuleide. Ich fühlte mich wie ein beklagenswertes Opfer und mutterseelenallein.
Auf der Rückfahrt vom Friedhof saß ich bei meinem Bruder im Auto. Er konnte nicht aufhören zu weinen. Er redete darüber, dass nun alles vorbei sei, dass er keine Ch a nce mehr habe, meinem Vater nahe zu kommen. Und wie es nach Beerdigungen so üblich ist, wurde beim anschließenden Trauermahl in meinem Elternhaus auch viel über meinen Vater gesprochen. Es wurden sogar ein paar lustige Bemerkungen darüber gemacht, wie sportbegeistert er gewesen war, dass er sich keine Sportsendung im Fernsehen hatte entgehen lassen. Mein Schwager wollte einen kleinen Witz machen und sagte: «Wenn ich mir’s recht überlege, bin ich heute zum ersten Mal in diesem Haus, ohne dass der Fernseher läuft und er sich ein Footballspiel ansieht!» Ich schaute zu meinem Bruder hinüber, und er begann wieder zu weinen. Aber diesmal klang sein Weinen nicht traurig, sondern bitter. Und ganz plötzlich erkannte ich, was mein Vater sein Leben lang getan hatte – und was ich selbst tat. Genau wie er ließ ich es nicht zu, dass mir jemand nahe kam und mich wirklich kennenlernte. Der Fernseher war mein Schutzschild.
Ich folgte meinem Bruder nach draußen, und wir fuhren zusammen zum See hinunter. Dort blieben wir lange sitzen. Ich hörte aufmerksam zu, als er darüber sprach, wie sehnlich er darauf gewartet hatte, endlich von meinem Vater beachtet zu werden. Bei seinen Worten begann ich, mich selbst zum ersten Mal in meinem Leben richtig zu sehen, zu erkennen, wie ähnlich ich meinem Vater geworden war. Ich dachte an meinen Stiefsohn Tim, der immer wie ein trauriges Hündchen auf ein bisschen Zeit und Aufmerksamkeit von mir wartete. Ich war ihm und seiner Mutter immer aus dem Weg gegangen, weil andere Dinge angeblich wichtiger waren.
Auf dem Heimflug konnte ich an nichts anderes denken als an die Worte, die wohl bei meiner Beerdigung über mich fallen würden. Das half mir, herauszufinden, was ich zu tun hatte.
Als ich zu Hause ankam, redete ich mit Sue so offen, wie ich das wahrscheinlich in meinem ganzen Leben noch nie getan hatte. Wir weinten beide und holten dann sogar Tim zu uns. Auch er weinte.
Danach ging es uns eine Zeit lang wirklich gut. Wir unternahmen viel miteinander, machten Fahrradtouren und Picknicks mit Tim. Wir gingen aus und luden Freunde ein. Es fiel mir schwer, mich von meinem sportlichen Engagement zurückzuziehen. Um das rechte Maß dafür zu finden, musste ich mich eine Zeit lang völlig davon fernhalten, was für mich so schlimm war wie ein Drogenentzug. Aber ich wollte den Menschen nahe sein, die ich liebte. Was ich beim Tod meines Vaters empfunden hatte, sollten sie nicht durchmachen müssen.
Allerdings stellte sich heraus, dass es für mich leichter war als für Sue. Nachdem ein paar Monate vergangen waren, erklärte sie mir, dass sie eine Teilzeitarbeit an den Wochenenden annehmen würde. Ich konnte es nicht fassen. Das waren die Tage, an denen wir wirklich Zeit füreinander hatten. Nun kehrte sich alles um; sie rannte vor mir weg! Wir beschlossen gemeinsam, uns professionelle Hilfe zu suchen.
Erst in der Therapie konnte Sue es sich und mir eingestehen: Unsere plötzliche Nähe hatte sie fast wahnsinnig gemacht, und sie wusste einfach nicht, wie sie damit umgehen sollte, wie sie mit mir umgehen sollte. Obwohl sie mein früheres Verhalten ständig kritisiert hatte, empfand sie es jetzt als unangenehm, wenn ich
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