Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
ausländische Regierungsorganisationen richteten sich einige für den eigenen Gebrauch her.
Als wir den Stützpunkt von OIKOS erreicht hatten, begrüßte mich Mica, eine portugiesische Ärztin, die hier die Einsatzleitung hatte. »Möchten Sie gleich morgen nach Aileu fahren?«, fragte sie mich.
»Ja, so bald wie möglich«, erwiderte ich.
»Dr. Hans ist dort schon seit ein paar Monaten«, sagte Mica. »Sie werden also nicht allein sein.«
Nach dem Mittagessen machte Graham mit mir eine Besichtigungstour durch Dili, damit ich mich zurechtfand. Wir kamen an der Motael Church in der Nähe des Hafens vorbei. »Hier hat der Trauerzug eines Mannes namens Sebastiao Gomes seinen Anfang genommen«, klärte Graham mich auf und deutete auf die weiße Kirche. »Er war ein Student, der von indonesischen Soldaten erschossen wurde. Das war der Anfang …«
»Das Massaker von Dili?«
»Ja.« Er nickte.
»Wie viele kamen dabei um?«
»Schwer zu sagen - mindestens zweihundertfünfzig, und etwa genauso viele sind verschwunden. Manche sagen, viele Leichen seien einfach vor der Küste ins Meer geworfen worden. Außerdem wurden Hunderte verwundet. Ich kannte den Mann, der das gefilmt hat - Max Stahl. Er begrub den Film neben einem Grabstein auf dem Friedhof und holte ihn sich dann später wieder. Es war sehr gefährlich.«
»Und wie bekam er ihn aus dem Land?«, hakte ich nach.
»Nun, man erzählt sich, eine dänische Aktivistin habe ihn in ihrem Büstenhalter rausgeschmuggelt. Auf jeden Fall hat er der Welt die Augen für das geöffnet, was sich hier abspielte.«
Er gab mir einen Überblick über die Geschichte des Landes. Nachdem die Portugiesen im Anschluss an den Militärputsch in Lissabon 1974 nach und nach die Kontrolle über ihre Kolonien verloren, kam es zum Machtkampf der politischen Kräfte und Parteien in Osttimor. Die Fretilin, eine linke Partei, und die Falintil, deren militärischer Flügel, gewannen die Vormachtstellung und erklärten Osttimor im November 1975 für unabhängig. Im Dezember 1975 marschierte Indonesien in Osttimor ein, unterstützt von den USA, die in den Fretilin eine prokommunistische Gefahr sahen. Die Herrschaft der Indonesier war brutal, und mindestens hunderttausend Timorer starben entweder direkt als Kriegsopfer oder verhungerten, weil die Ernte und die Viehbestände zerstört worden waren. Die Falintil führten während der fünfundzwanzigjährigen Besatzungszeit einen Guerillakrieg gegen Indonesien, während Ramos Horta die Osttimor-Frage bei der UN lebendig hielt. Nachdem die Indonesier Lobato, den Vorsitzenden der Falintil, getötet hatten, übernahm Xanana Gusmao den Vorsitz. 1992 von den Indonesiern ins Gefängnis gebracht, wurde er 1999 entlassen und sollte später der erste Präsident des Landes werden. Aufgrund seiner Kolonialvergangenheit war Osttimor hauptsächlich katholisch geprägt, obwohl der traditionelle Glaube an einen himmlischen Gottvater und eine irdische Muttergöttin neben der christlichen Lehre weiterexistierte. Es gab auch ein paar Muslime in Osttimor. Leste ist das portugiesische Wort für »Osten«, und loro’sae, wörtlich Sonnenaufgang, bedeutete »Osten« auf Tetun. Deshalb wird Osttimor auch Timor Leste oder Timor Loro’sae genannt.
Wir fuhren an dem eindrucksvollen weißen Regierungspalast vorbei, auf dem die Fahne der Vereinten Nationen wehte und der das ansonsten heruntergekommene Stadtzentrum beherrschte. In der Nähe lag das vor der Küste vertäute schwimmende Luxushotel Olympia, die inadäquate Unterkunft der UN-Beamten und anderer Ausländer. Entlang der Küste verkauften kleine, aus Blech und roh behauenem Holz gezimmerte Läden Lebensmittel und Victoria-Bitter-Bier. Ein Stück weiter boten Fischer ihren Fang feil, den sie in Einbäumen aus dem Meer geholt hatten.
Dili war nur noch die ausgebrannte Hülle einer Stadt. Hätte sie ein Maskottchen gehabt, wäre dies der allgegenwärtige Kampfhahn gewesen, dessen rauer Schrei Tag und Nacht zu hören war. Der Verkehr war chaotisch. Soldaten aus unzähligen Nationen fuhren in Geländewagen der UN und weißen indischen Tatas durch die Gegend, während die Timorer sich in kleine Busse pferchten, die man microlets nannte. Manchmal saßen Mama, Papa und drei Kinder allesamt auf einem kleinen Moped. Moderne junge Mädchen in kunstvoll ausgebleichten, hautengen Jeans mischten sich mit traditionell gekleideten hageren Frauen in knöchellangen lipas, leuchtenden langärmeligen Blusen mit Stehkragen und
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