Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
mussten.
Am 8. Juli 2000 erhielt ich einen Brief von Bruder Andrew als Antwort auf einen von mir, den ich ein paar Wochen nach meinem Eintreffen in Osttimor an ihn geschrieben hatte. Typischerweise erwähnte er seine Krankheit nicht, sondern schrieb, mein Brief habe ihn an die schrecklichen Zustände in Kambodscha erinnert.
Drei Monate später starb Andrew, am Festtag des heiligen Franz von Assisi 2000, in Melbourne. Ich mochte Andrew. Er war kein Heiliger, aber er war ein Mann, der sein Bestes tat, aber manchmal gegen den Fels der Kirche prallte oder über seine eigenen luftigen Ideale stolperte. Ich vermisste ihn und war sehr traurig, dass er am Ende ein Dasein am Rande führte. Aber dies war genau der Ort, wo er hatte sein wollen - in Gesellschaft der Armen und der Verlorenen.
Wie der größte Teil von Osttimor war auch Aileu gebirgig, und die Straßen waren gefährlich, vor allem nach heftigen Regenfällen. Unser mit Medikamenten und Verbandszeug
beladener Allradwagen brach zwei Mal in der Woche zu den diversen Ambulanzstationen und Dörfern auf, wo uns oft schon Hunderte von Menschen erwarteten, von denen aber nicht alle ernsthaft krank waren. Eine Sprechstunde war zu einem so seltenen Ereignis geworden, dass die Dörfer sie einfach aufsuchen wollten, um sich für den Fall, dass sie in Zukunft krank würden, mit Medizin zu versorgen. Ich begann dann immer in meinem rudimentären Tetun mit dem Satz: »Ita boot moras saida? - Was fehlt Ihnen?«
Einige Leute hatten alle nur denkbaren Symptome - Kopfschmerzen, Fieber, Rückenschmerzen, wunde Beine, also stellte ich meine Fragen auf andere Weise, um zu erfahren, was das akute Problem war. Gastroenteritis, Lungenentzündung, Hautkrankheiten und Malaria waren die häufigsten Krankheiten neben unterernährten Kindern und Menschen mit Tuberkuloseverdacht. Sehr oft nahmen wir die Schwerkranken mit, um sie in der Stadt zu behandeln oder nach Dili zu schicken. Es kam auch vor, dass Leute am Straßenrand standen und uns für eine Diagnose auf der Straße heranwinkten. Wenn sie wussten, dass wir in der Gegend waren, holten sie mich auch zu Geburten. Manchmal kamen wir an Häusern vorbei, vor denen eine weiße oder eine schwarze Fahne am Straßenrand aufgestellt waren, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass hier jemand gestorben war. Wenn wir das Haus kannten, gingen wir hinein, um zu kondolieren. Eine weiße Fahne signalisierte, dass ein Kind gestorben war, eine schwarze stand für einen Erwachsenen.
Schwestern des Maryknoll-Missionsordens - Dorothy, Nora, Susan und Teresa - wohnten in einem Teil des
Hauses des Gemeindepriesters, nachdem die Milizen ihr Kloster und ihre Klinik niedergebrannt hatten. In der geschwärzten Schale ihres früheren Wohn- und Arbeitsplatzes verkündete eine abgebrochene Plakette an der dachlosen Wand in Tetun: »Wir bedanken uns bei Misereor, die uns halfen, dieses Gebäude zu errichten.« Erst kurz vor der Zerstörung 1999 hatten sie dank der gesammelten Spenden vieler Menschen eine Klinik bauen können, doch nur um zusehen zu müssen, wie die willkürlichen Aktionen einiger weniger sie zerstörten. Verkohlte Nähmaschinen und Maßvorrichtungen lagen über den Boden verstreut.
Die Schwestern wurden meine Freundinnen und luden mich manchmal in ihr Haus zu einer Pasta, zu Fleischkäse und bei besonderen Anlässen zu gebratenem Hühnchen ein. Das war eine angenehme Abwechslung zu meiner täglichen Ration Eier, Gemüse und Thunfisch, den Dingen, die man auf dem örtlichen Markt bekam. Wenn ein Kind gestorben war oder ich einen schlimmen Tag in der Klinik hinter mir hatte, weil die Krankenschwestern nicht erschienen waren, ging ich zum Haus der Schwestern.
1999, während des Wütens der Milizen, hatte man sie schon für tot erklärt, und ich glaube sogar, dass man in Bandong, ihrem Einsatzort in Indonesien, eine Messe für sie gelesen hat. Sie waren zwar dem Tod sehr nahe gewesen und hatten auf ihrer Flucht nach Dili auf der von den Milizen kontrollierten Straße einige bedrohliche Begegnungen gehabt, aber sie überlebten und blieben ein paar Monate als Flüchtlinge in Darwin, wo sie bei den Schwestern von Our Lady of the Sacred Heart untergekommen waren.
Im September 2000 gedachte Osttimor derer, die ein Jahr zuvor umgekommen waren. Kleine Steinhaufen, geschmückt mit roten Bougainvilleen, markierten die Orte auf der Straße, wo jemand einen Toten zu beklagen hatte. Nachts leuchteten Hunderte von Kerzen auf den Gehwegen. Um diese
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