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Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures

Titel: Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette Livermore
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fielen sofort auf die Knie.
    »Dank sei Gott«, lautete die Antwort, selbst für diejenigen
unter uns, die keine Morgenmenschen waren. In der Dunkelheit des Schlafraums kleideten wir uns schweigend unter einem Laken neben dem Bett an.
    Sechs Monate später, als wir Novizinnen waren, trugen wir um unsere Taillen und unsere Arme Ketten aus Draht mit nach innen gerichteten Stacheln auf der Haut. Doch selbst diese verfehlten ihren Zweck, mich während der Meditation wach zu halten. Ich konnte nicht so beten, wie Schwester Regina es uns beigebracht hatte: »Lest den Abschnitt, stellt euch vor, ihr wärt dort in der Szene aus dem Evangelium, und dann hört, was Jesus euch für euer tägliches Leben zu sagen hat.« Ich halte mich nicht für sehr fantasiebegabt, und diese Art des Betens kam mir künstlich vor. Es war mir unmöglich, mich darauf zu konzentrieren, und es gelang mir auch nicht, eine bequeme Haltung auf dem Boden zu finden. Wenn ich doch nur zuerst eine Tasse Tee trinken könnte, überlegte ich. Das würde mich wach machen.
    Die ganze Gemeinschaft ging zur Messe, betete den Rosenkranz, der aus sieben Folgen von zehn »Gegrüßet seist du Marias« bestand, die wir hersagten und dabei der Freudenvollen, Leidvollen und Ruhmvollen Mysterien von Christi Geburt, Tod und Auferstehung gedachten. Die aus Blausteinen gebaute Gemeindekirche von All Saints Fitzroy war weit weg. Wenn die Messe zu Ende war, rezitierten wir laut Gebete mit der Bitte, würdig zu werden, den Armen zu dienen, die in Armut und Hunger lebten. Wir sprachen auch das Friedensgebet des heiligen Franziskus: »O Meister, hilf mir, dass ich nicht danach verlange, getröstet zu werden, sondern zu trösten, verstanden zu werden,
sondern zu verstehen, geliebt zu werden, sondern zu lieben. Denn wer gibt, der empfängt. Wer verzeiht, dem wird verziehen. Wer stirbt, der wird zum ewigen Leben geboren.« Zum Frühstück aßen wir schweigend vier chapattis, während eine von uns laut aus einem Erbauungsbuch oder Mutters Briefen vorlas. Die Regeln erlaubten es uns nicht, selbst zu entscheiden, wie viel wir essen wollten.
    Ich lernte schon bald, meine Kleider in meinem Metalleimer zu waschen und zu duschen, indem ich denselben Eimer und eine Milchdose verwendete. Die Hausarbeit verrichteten wir auf den Knien und in Eile, wobei wir die gleichen Eimer benutzten und einen Lumpen.
    Die verschiedenen häuslichen Aufgaben wechselten jeden Monat nach dem Rotationsprinzip. Jede Schwester säuberte ihren Bereich und übernahm dazu die Pflichten, die mit diesem Teil des Hauses verbunden waren. So übernahm beispielsweise die Küchenfrau das Kochen; wer für die Kapelle zuständig war, legte das Ornat zurecht und richtete den Altar für die Messe und das stundenlange Abendgebet vor dem Heiligen Sakrament her, das man Anbetung nannte. Andere Gemeinschaftsaufgaben wechselten wöchentlich. Ein Dienstplan legte fest, wer die Glocke läuten, wer bei den Mahlzeiten vorlesen, die Tür öffnen und ans Telefon gehen sollte, wer bei Tisch bediente und das Gebet leitete. Die meisten dieser Aufgaben wurden von den Novizinnen übernommen, aber wir Postulantinnen hatten unsere eigenen Vorleser und Serviererinnen.
    Schwester Christine musste ständig ihren Finger an ihre Lippen legen, um uns ans »Schweigen« zu erinnern, doch als wir uns einmal in den Alltag eingefunden hatten, verloren
wir auch unser Bedürfnis zu sprechen. Das Leben war vorhersehbar. Der Zeitplan regelte es. Die Glocke zum Mittagessen läutete um ein Uhr, und ich musste erscheinen - es war Gottes Wille.
    Vier Tage in der Woche ging ich um halb neun mit Schwester John, einer Professe aus Südindien, zur Arbeit. Wir besuchten die Alten, die in von der Stadt gemieteten Räumen lebten. Die anderen Postulantinnen besuchten andere Viertel oder arbeiteten in der Unterkunft Nummer 101. Keine MN, egal welchen Grad sie innehatte, ging allein irgendwohin, und wir mussten auf dem gemeinsamen Weg laut den Rosenkranz beten. Weil ich lieber still war und nicht gern angestarrt wurde, fühlte ich mich unwohl, wenn wir laut in überfüllten Bussen oder an Verkehrsampeln beteten. Schwester John gab manchmal nach, aber erst wenn wir alle fünfzehn Dekaden des Rosenkranzes gebetet hatten. Erst dann konnten wir unseren Weg fortsetzen.
    Unsere Besuche führten uns in private Heime mit winzigen, übel riechenden Zimmern, in denen Betten mit von Urin durchtränkten, halb vergammelten Matratzen standen, die in der Mitte durchhingen. Schwester John

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