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Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures

Titel: Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette Livermore
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und ich besuchten Vince, einen ausgemergelten Mann mit grauem Stoppelbart, der in einem solchen Zimmer mit Blick auf die Trambahnlinie wohnte. Wir kannten ihn, weil er manchmal im Asyl in der Gore Street gegessen hatte, ehe er ein eigenes Zimmer fand. Vince rasierte sich nur selten, und seine Kleider starrten vor Schmutz. Die Luft in seinem Zimmer war schwer von abgestandenem Urin und dem Tabakgeruch seiner Selbstgedrehten. Die Schwester
zeigte mir, wo ich seinen Nachttopf in der allgemeinen Toilette ausleeren konnte, und dann fingen wir an, sein Zimmer zu säubern. Es war Schwerarbeit, bis wir uns durch die Schmutzkruste durchgeschrubbt hatten und das Blumenmuster und die grüne Farbe des Linoleums wieder zu erkennen waren.
    Arbeiten wie diese - Putzen und persönliche Dienstleistungen - wurden »die Demutsarbeit der Gesellschaft« genannt und waren Teil von Mutter Teresas Ideal, aber auch der Grund dafür, weshalb meine Familie mich gewarnt hatte, dass ich niedrige Arbeiten würde verrichten müssen. Im Lauf der Wochen schloss Vince uns auf seine schroffe Art in sein Herz und wartete schon auf unseren Besuch. Später wechselte er sogar manchmal die Kleidung, damit wir seine Wäsche in den Waschsalon bringen konnten, doch ein Bad schien er nur selten zu nehmen.
    »Hallo, Vince! Wie geht’s?«, fragte ich ihn immer.
    »Nicht schlecht, Schwester. Nicht schlecht. Haben Sie mal Feuer für mich?«
    Dann zündete ich ihm seine Zigarette an und machte den ersten Zug, damit sie richtig glomm. Er hatte ein Feuerzeug, aber seine Hände zitterten, und er brachte keinen Funken heraus.
    »So, das hätten wir.«
    »Danke.«
    »Und diese Woche Glück mit den Pferden gehabt?«, erkundigte sich Schwester John.
    »Ne. Vielleicht nächste Woche.«
    Wir lernten viele Bewohner solcher Zimmer kennen und halfen ihnen auf die unterschiedlichste Weise. Manche waren
zu zittrig, um sich zu rasieren, für manche mussten wir die Einkäufe erledigen oder putzen. Wir besuchten und lernten auch viele Einwandererfamilien aus den Hochhauswohnungen hinter uns kennen, die mit uns in der Gemeinde von All Saints den Gottesdienst besuchten. Einige der in diesen Hochhäusern in einem neuen Land gefangenen Menschen, dessen Sprache sie nicht sprechen konnten, litten unter der Auflösung des Familienlebens. Es gab mehrere Selbstmorde.
    Am Tag vor einem unserer Besuche dort war eine Frau aus dem sechzehnten Stockwerk gesprungen. Die Menschen standen aufgeregt in Grüppchen vor dem Haus.
    »Ich habe gesehen, wie die Frau sich am Geländer hochgezogen hat. Dann hat sie sich einfach rückwärts fallen lassen«, sprudelte eine Vierzehnjährige los, als wir kamen.
    »Es war ein schrecklicher dumpfer Schlag«, ergänzte ein älterer Mann. »Dann hörte man die Sirenen, Polizei, Krankenwagen. Es dauerte eine Weile, ehe das Blut endlich weggewaschen war.«
    Damals konnte ich nicht begreifen, wie ein Mensch jegliche Hoffnung verlieren konnte und sterben wollte, aber je reifer ich wurde, umso klarer wurde mir, dass die Versprechungen der Evangelien nicht immer eingehalten wurden. Es gab Menschen, die liebten, ohne Liebe zu empfangen, gaben, ohne etwas zurückzubekommen, Gutes taten und es mit Bösem vergolten bekamen. Das Leben konnte grausam sein. Einmal die Woche übernahmen die Ausbildungsschwestern die Arbeit im Asyl Gore Street 101, damit die Professen einen freien Tag hatten. Die Schwestern gaben dort täglich für etwa hundert arbeitslose Männer Essen aus
und unterhielten außerdem Unterkünfte für etwa dreißig von ihnen. Die meisten Stammkunden waren Alkoholiker, bei denen der Genuss von mit Methylalkohol versetzter White Lady manchmal Löcher in die Magenwand gebrannt hatte. Manche hatten auch psychische Probleme. Die Mehrheit war alt und krank. Sie waren ein Ärgernis, wenn sie nach einer Sauftour in den Gassen und Abflussrinnen rund um Fitzroy herumlagen - im betrunkenen Zustand war es ihnen nicht erlaubt, ins Haus Nummer 101 zum Essen zu kommen. Wenn wir dort arbeiteten, kochten wir, putzten, machten die Betten und unterhielten uns mit Stammbewohnern, für die das Asyl ihr Zuhause war. Jimmy etwa hatte ein Holzbein und saß, sofern es ihm gut ging, immer in der Küche, wo er Gemüse putzte und den Abwasch machte. Andere Bewohner halfen bei Zimmermanns- oder Malerarbeiten. Manchmal jedoch fuchten sie oder betranken sich. Ein Mann, der wütend war, weil man ihn ausgesperrt hatte, stieß mich einmal so heftig, dass ich auf den Fußweg stürzte.
    Es fiel

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