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Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures

Titel: Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette Livermore
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einen Mann einfach verbluten zu lassen«, sagte Sophie.
    »Ja. Aber endlich kam einer der Italiener, die wir aus den Hochhauswohnungen hinter uns kennen, mit seiner Tochter vorbei. Anfangs verweigerte auch er seine Hilfe, willigte dann aber doch ein, den Mann in die Notaufnahme zu bringen. Die Sanitäter halfen uns, ihn vom Rücksitz zu holen und auf eine Trage zu legen. Seinen Namen kannten wir nicht. Der Arzt meinte, er habe einen Schädelbruch. Wir werden ihn morgen besuchen und nachsehen, ob er wieder bei Bewusstsein ist.«
    »Vielleicht hättet ihr euch aufteilen sollen, Colette. Wenn eine bei dem Mann geblieben wäre, hätte die andere selbst den Krankenwagen rufen können.«
    »Ja, vielleicht, Schwester, aber Schwester John meinte, wir sollten zusammenbleiben. Wir gingen ja auch davon aus, dass der Krankenwagen jeden Moment kommen musste.«

    Nach einer halben Stunde, die wir fürs Mittagessen hatten, sprachen wir das Dankgebet und verfielen wieder in Schweigen. Wir sollten gesammelt sein und nicht in Gedanken zu Familie, Freunden oder anderen Lebensformen abschweifen. Wir spülten unseren eigenen Teller und das Besteck und nahmen dazu eine der Servierschüsseln her. Anstatt eines Spülmittels verwendeten wir die Asche vom Feuer unter dem Kupferkessel.
    Nach dem Mittagessen hatten wir eine halbe Stunde Ruhepause, während der wir uns hinlegen sollten, aber nicht lesen oder etwas anderes tun durften. Nach einer Weile gewöhnte ich mich daran und machte ein kurzes Nickerchen.
    Am Nachmittag erteilte uns Schwester Regina im Refektorium der Postulantinnen in zwei Kursen Unterricht in der Heiligen Schrift und in der Lebensweise der Missionarinnen der Nächstenliebe. Sie war immer gut gelaunt, aber auch recht unverblümt und streng, hatte hohe Maßstäbe und Ideale und konnte einem eine vernichtende Standpauke über Eitelkeit, Faulheit oder Ungehorsam halten.
    Von Schwester Regina erfuhren wir, dass Mutter Teresa in den ersten zwanzig Jahren ihres Lebens eine Nonne des Loreto-Ordens gewesen war. 1609 ins Leben gerufen, sollte das vom heiligen Ignatius inspirierte Loreto-Institut Frauen eine neue Form religiösen Zusammenlebens bieten. Maria Ward, eine Engländerin, versuchte einen Orden zu bilden, der es seinen Schwestern erlaubte, als Erzieherinnen unabhängig vom Kloster zu sein und sich in der Welt engagieren zu können. Das kirchliche Klima des siebzehnten Jahrhunderts vereitelte ihre Vision, aber ihr Ideal wurde 1821 in Dublin von Frances Ball, einer Irin, wieder
aufgegriffen. Sie gründete die Gemeinschaft der Loreto-Schwestern, um Frauen zu unterrichten. Frances nahm den Namen Mutter Teresa an, und der Erzbischof von Dublin überließ ihr Rathfarnham House als Noviziat, wo auch Mutter Teresa von Kalkutta hundertsieben Jahre später als Novizin ihre Ausbildung erhalten sollte.
    Mit Ende dreißig litt Mutter Teresa zunehmend an der Armut, welche die von Mauern umfriedete Highschool umgab, in der sie in Kalkutta Kinder der Mittelschicht unterrichtete. Als sie im September 1946 unterwegs nach Darjeeling war, überkam sie das übermächtige Gefühl, dass Gott sie rief, um mit den Ärmsten der Armen auf den Straßen von Kalkutta zu leben und zu arbeiten. Indem sie sich den Benachteiligten zuwandte, glaubte sie, Gott in der Gestalt der Armen, der Hungrigen, der Nackten und der Obdachlosen zu dienen, gemäß den Worten Christi: »Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen … Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.« (Matthäus 25,35-36,40)
    Obwohl Mutters Hauptquelle der Inspiration die Evangelien waren, so teilten ihre großen Zeitgenossen in der Hindu-Tradition, Tagore und Gandhi, ein vergleichbares Mitgefühl für die Armen und lehrten wie sie, dass Gott sich in den Hilflosen und Armen offenbare. Tagore, der Nobelpreisträger
der indischen Literatur, der 1941 starb, sagte, dass Gott nicht in prachtvollen Gewändern herausgeputzt und auch nicht in Tempeln anzutreffen sei, sondern sich in Lumpen kleide und so die Gesellschaft der Allerärmsten, der Einsamsten und der Verlorenen suche (Gitanjali X, XI). Wir sangen Hymnen, die auf englischen

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