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Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures

Titel: Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette Livermore
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mir schwer, mich ans Stadtleben mit seinem vielen Beton und der Enge anzupassen. Manchmal flüchtete ich im Geiste auf die Regenwaldpfade um Fitzroy Falls und das Panorama von Manning Lookout. Ich liebte den Busch, die kühle Stille, die nur der schrille Ruf des Grauschopf-Wippflöters oder das Geschrei der Elstern unterbrach. Ich liebte die von Farnen gesäumten schönen klaren Bäche, in denen sich Felsen türmten, und das Tosen der Wasserfälle und das freudige Erschrecken, wenn sich ein Lyrebird zeigte oder ein Großfußkänguru durchs Unterholz huschte. Bei solcher Schönheit ging mir das Herz auf, und ich
war in Hochstimmung. Aber ich musste mich an geteerte Straßen, Graffiti und Beton gewöhnen.
     
     
    Wenn die morgendliche Arbeit erledigt war, sah unser Zeitplan vor, dass wir bis halb eins wieder im Kloster waren. Schwester John kam ein paar Mal zu spät, und deshalb erlaubte Schwester Regina mir, eine Uhr zu tragen, damit wir pünktlicher wurden. Wir hatten Mittagsgebete und Gewissenserforschung, bei der wir den bisherigen Tag Revue passieren ließen, um zu sehen, inwieweit unsere Gedanken, Worte, Taten und Motive unseren am Morgen gefassten Entschlüssen gewachsen waren. Jeden unserer Fehler schrieben wir in unser Prüfungsbuch für die spätere Beichte.
    In katholischen Schulen forderten die Nonnen uns Kinder auf, ein oder zwei Mal im Jahr zur Beichte zu gehen, aber hier im Kloster wurde von mir erwartet, mir genügend Sünden für die wöchentliche Beichte einfallen zu lassen, obwohl für eigenwillige Aktivitäten ohnehin kaum Gelegenheit war. Anfangs wusste ich gar nicht, was ich den Priestern sagen sollte, aber Schwester Regina lehrte uns, unsere Gedanken, Worte, Taten und Motive ständig zu hinterfragen. Sie gab uns zu verstehen, dass die Pharisäer, die gut zu sein glaubten, weil sie Gutes taten, eigentlich viel schlimmer waren als alle anderen, denn sie waren Heuchler - sie lebten nur tugendhaft, um bewundert zu werden. Bis zu diesem Punkt in meinem Leben war ich im Umgang mit meinen Mitmenschen ganz unbefangen gewesen, aber jetzt begann ich, mich zu fragen, ob ich eingebildet war - und Gutes tat, nur um die anderen Menschen zu beeindrucken. Zu meinen wöchentlichen Sünden gehörten
freundliche Handlungen, um andere zu beeindrucken; dass ich innerlich wütend und aufgebracht war, nachdem ich öffentlich gerügt worden war; und Untreue gegenüber Gottes Ruf, weil ich den Gedanken hegte, den Orden zu verlassen und mich meinen Freundinnen an der Universität anzuschließen.
    Nach dem Gebet begaben wir uns ins Refektorium, sprachen das Tischgebet vor den Mahlzeiten, ergriffen schweigend unsere Blechteller und nahmen dann unseren Platz auf den Bänken ein, wo wir eine kurze religiöse Lesung hörten. Wer dran war, stellte das Mittagessen, für gewöhnlich Reis und Curry, ans Kopfende des Tisches, und dann bediente jede Schwester sich selbst. Zum Essensdienst gehörte auch, dass man jeder Schwester an ihrem Platz Wasser in ihren Becher einschenkte. Sobald Schwester Christine »Gelobt sei Jesus Christus« gesagt hatte, hörte man Gelächter und Geplauder, während wir aßen und unsere morgendlichen Erfahrungen austauschten.
    »Vor dem Champion’s Pub lag ein blutender Mann auf dem Fußweg«, erzählte ich.
    »Was ist ihm passiert?«, fragte Betty.
    »Ich weiß nicht - vielleicht wurde er zusammengeschlagen. Ihm kamen große geleeartige Blutklumpen aus dem Ohr und seinem Hinterkopf, und er war bewusstlos. Er war gut gekleidet, keiner von der Straße. Da sich keiner seiner annahm, gingen Schwester John und ich zu ihm und versuchten, die Blutung an seinem Hinterkopf mit einem Taschentuch zu stillen. Ich ging in den Pub und bat den Geschäftsführer, einen Krankenwagen zu rufen, aber ich glaube nicht, dass er es gemacht hat, denn wir warteten
an die zwanzig Minuten, aber er kam nicht. Es war frustrierend, weil das Krankenhaus und die Einsatzstelle der Krankenwagen nur ein paar Straßen weit entfernt waren.«
    »Was habt ihr also getan?«, erkundigte sich Schwester Christine.
    »Nun, es war an der Ecke gleich neben den Verkehrsampeln, und so viele Autos hielten dort an. Wir versuchten, zwei Taxis aufzuhalten, aber beide weigerten sich, uns mitzunehmen. Wir waren in großer Sorge, denn er blutete heftig und verdrehte die Augen. Wir klopften bei einigen Autos an die Fensterscheiben und baten sie, uns die paar Häuserblocks bis zum Krankenhaus mitzunehmen, aber keiner war bereit dazu.«
    »Es ist schrecklich,

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