Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
gelegenen Wald, wo Fliegenpilze aus dem Waldboden schossen. Bei einem Picknick wie diesem durfte ich, nachdem ich vorher um Erlaubnis gefragt hatte, allein einen kurzen Spaziergang machen, aber normalerweise war mein Leben so streng geregelt, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, mir einen Freiraum zu nehmen, wenn ich ihn brauchte.
Während ihrer Zeit in Australien nahm Mutter viele Veränderungen vor. Sie schickte Schwester Christine mit drei anderen Schwestern nach Katherine im Northern Territory, um dort ein neues Haus aufzubauen und unter Aborigines zu arbeiten. Schwester John, die mich auf meinen
Besuchen begleitete, wurde nach Bourke geschickt. Doch Mutter verschob nicht nur Schwestern, sondern auch begeistert Möbel - sowohl im Kloster als auch im Asyl in der Gore Street. Sie schickte die Schwestern hierhin und dorthin, um Schränke und Tische zu verschieben und die Anordnung der Räume zu verändern. Manchmal entdeckte sie dabei Dinge, die ihrer Meinung nach nicht mit dem Ideal der Armut vereinbar waren, wie etwa ein Tonbandgerät, das die Schwestern benutzten, um neue Lieder für den Religionsunterricht zu lernen. Es musste weggeben werden. Sie war dafür bekannt, bei ihren Besuchen jedes Haus umzukrempeln, damit jede Gemeinschaft ihrem Ideal treu blieb. Sie nahm sich auch jede Professe und jede Novizin einzeln vor, um ihr Mut zu machen und Ratschläge zu erteilen.
Nach Mutters Abreise blieben wir Postulantinnen in derselben Gemeinschaft wie Schwester Regina und die Novizinnen. Lediglich Sophia und Eileen beschlossen, nicht als Missionarinnen der Nächstenliebe weiterzumachen. Die alten Männer in ihren winzigen Zimmern suchte ich nicht mehr auf, sondern arbeitete von nun an im Männerasyl. Die Professen übernahmen Schwester Johns Arbeit.
Im April begann Schwester Satya, eine der Professen, mit der Arbeit an unseren Habits in Vorbereitung unserer Aufnahme als Novizinnen am 14. Mai 1973. Um die Druckknöpfe am Kragen anzubringen, brauchte ich genauso lang wie die Schwester für das ganze Kleidungsstück. Zur gleichen Zeit machten die Schwestern Justin und Patience neue Habits für sich selbst, da sie Ende Mai ihre ersten Gelübde ablegen würden.
Während unserer einwöchigen Klausur in unserem Fitzroy-Haus, einer Zeit der Stille und der Reflexion, bereiteten wir uns auf unser Noviziat, Patience und Jasmin auf ihre Profess vor. Ein Geistlicher hielt uns jeden Tag einen Vortrag übers Beten, wobei er sich auf ein Buch mit dem Titel The Cloud of Unknowing bezog, das ein unbekannter englischer Mönch des vierzehnten Jahrhunderts geschrieben hatte, dessen Lehre darin bestand, dass man Gott nicht durch Gedanken oder Studium nahekam, sondern durch Stille, Schweigen und die Wiederholung eines kurzen Gebets oder Wortes. Mir sagte diese Art des Gebets mehr zu als die jesuitische Methode, sich eine Szene mit einer Vielfalt von Gedanken, Worten und Bildern vorzustellen. Stattdessen sollten wir die Gott umgebende »Wolke des Nichtwissens« durchdringen, indem wir ein einziges Wort wiederholten. Der unbekannte Autor empfahl seinen Lesern dieses Wort als Speer zu benutzten, der die Dunkelheit durchdrang, und als Schwert, um jeglichen Gedanken »zu vernichten«. Er selbst machte sich den Satz »Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin« zu eigen. Gott, so fand er, konnte in der Stille erfahren, aber nicht erkannt werden.
Als der Tag unserer Aufnahme kam, schnitt Schwester Regina mir meine Haare Büschel für Büschel ab, bis mein Schädel einer bombardierten Landschaft glich. Als Zeichen unseres neuen Lebens gab sie uns neue Namen. Betty wurde Naomi, und ich wurde Tobit, nach der biblischen Figur und in Anlehnung an meinen Onkel Toby. Tobit war ein guter Mann, der schwere Zeiten erdulden musste. Er erblindete, wurde aber später geheilt und konnte wieder sehen. Seinen Sohn wies er an: »Teile dein Brot mit den
Hungrigen und bedecke die Nackten mit Kleidern von dir!« (Tobias 4,17)
Es fiel mir nicht leicht, mich an meinen neuen Namen zu gewöhnen, und einmal fiel mir die erste Lesung in der All Saints Church zu. In einer Passage wurde erzählt, wie Schwalben ihren Kot in Tobias Augen fallen und ihn so erblinden ließen.
Man gab mir außerdem die Nummer 952, mit der ich alle meine Kleider und Bücher und meinen Eimer zu kennzeichnen hatte. Mein Festtag war der 4. Oktober, der Tag, an dem die Kirche das Leben des heiligen Franz von Assisi feiert. Meine Identität als Colette ging in Tobit auf. Ich fand es ein
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