Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
Wasser zu geben. Und deshalb sah ich darin auch genau diesen Sinn, der von Mutter für uns Schwestern nur in religiösere und bildhaftere Begriffe gefasst worden war.
Ein Kirchenlied, das wir lernten, »Ich dürste«, entfaltete Mutters eher mystische Thematik: »Mein Kelch wird gefüllt sein mit Liebe, Opfern, Dir dargebracht. Auf immer und ewig werde ich Deinen Durst stillen, Herr …« Diese Gefühle teilte ich nicht, aber ich glaubte damals, dass mich mit Mutter Teresa ein gemeinsames Ideal verband.
Die Missionarinnen der Nächstenliebe sollten Besinnliche im Herzen der Welt sein. Schwester Regina klärte uns darüber auf, dass den Geist der Gemeinschaft »vollkommene Hingabe, liebendes Vertrauen und Fröhlichkeit« ausmachten. Wir sollten »unseren freien Willen, unsere Vernunft und unser ganzes Leben für den reinen Glauben« aufgeben. Mutter unterwies uns immer wieder darin, »mit einem Lächeln zu geben, was Er nimmt, und zu nehmen, was Er gibt«.
Mutter Teresa stand unter dem massiven Einfluss des heiligen Ignatius von Loyola, der Soldat gewesen war, ehe er den Jesuitenorden gründete. Die Loreto-Schwestern, Mutters erste Ordensgemeinschaft, hatten die Ideen von Ignatius’ blindem militärischem Gehorsam sowie ein kodifiziertes, reglementiertes System religiöser Praktiken übernommen. Mutters jesuitische Beichtväter und geistige
Oberhäupter hatten ihre spirituelle Formung begleitet und sie dahingehend beeinflusst, dass sie folgerichtig im Gehorsam die Haupttugend und den Lackmustest wahrer Demut und Heiligkeit sah.
Die Zeit, in der Mutter Teresa aufwuchs, war noch geprägt von der Unterdrückung der sogenannten Modernen Häresie durch die Kirche. Diese hatte die Kirche herausgefordert, ihre Lehre auf rationalere und wissenschaftlichere Weise zu verbreiten. Die Moderne Häresie lehrte, dass die Wahrheit nicht statisch oder unveränderbar sei, sondern sich mit unserem sich verändernden Verständnis entwickeln könne. Durch sie wurde die Lehrautorität der Kirche und insbesondere die des Papstes infrage gestellt und in Debatten und wissenschaftlichen Untersuchungen die göttliche Offenbarung und päpstliche Unfehlbarkeit hinterfragt. 1907, drei Jahre vor Mutters Geburt, bekämpfte Papst Pius X. diese rationalistische und säkulare Bewegung, indem er die Lehre aufstellte, die Katholiken müssten ihren Intellekt und ihren Willen der Lehrautorität der Kirche beugen. Stolz, so schrieb er, sei die Wurzel allen Übels, und der einzige Weg, gegen diesen anzukämpfen, sei demütiger Gehorsam. Offensichtlich nahm Mutter Teresa als junge Frau sich diese Lehre zu Herzen und sah den besten Weg, sich von Gott leiten zu lassen, darin, den kirchlichen Autoritäten zu gehorchen. »Gott braucht Menschen, die gehorsam sind«, sagte sie, aber diejenigen, die ihren eigenen Weg gehen, sind zum Scheitern verurteilt. Sie lehrte, dass »selbst Gott nicht füllen kann, was bereits voll ist«. Unsere Aufgabe als Nonnen sei es, uns leer zu machen, damit wir Kanäle der göttlichen Macht wurden.
Unser inneres Selbst musste sterben wie der Weizen, um eine Ernte hervorzubringen.
Wir sollten Mutter Teresas Plan folgen: den Armen in Liebe zu dienen und zu leben wie sie. Dabei wurde jedoch der Unterwerfung größeres Gewicht beigemessen als kooperativer Liebe und Gleichheit. In Mutters Worten: »Wenn es uns gelingt, prompt, einfach, blind und fröhlich zu gehorchen, sollte es uns möglich sein, die höchste Perfektion zu erlangen.«
Ich wusste, dass das nicht stimmte. Wenn dieser Befehl nun falsch war? Wenn wir nur aus Angst gehorchten oder um uns bei den Mächtigen einzuschmeicheln? War Unterwerfung nicht unter Umständen ein Zeichen der Schwäche und nicht der Stärke? Selbst damals waren für mich Gehorsam und Güte nicht dasselbe. Konfliktsituationen wühlten mich auf, und ich hatte immer ein feines Gespür dafür gehabt, wie Menschen miteinander umgingen, so beispielsweise als Kind, wenn ich mich vor dem Haus mit meinen Brüdern zusammenkauerte, während Mama und Papa sich im Haus anschrien. Ich wusste, dass ein Feigling aus Angst gehorcht, also konnte Gehorsam für sich genommen kein Anzeichen von Heiligkeit sein. Manchmal fiel es mir schwerer, meine Meinung zu sagen, als zu schweigen, was zu inneren Konflikten führte, denn das, was man mir als gut und heilig beibrachte, empfand ich als falsch und unterwürfig. Schwester Regina lehrte uns, alles, was unsere Vorgesetzten von uns verlangten, als Gottes Willen zu akzeptieren.
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