Wenn ich dich gefunden habe
eigenen Namen erinnerte.
»Wo wollen Sie zuerst hin?«, fragte er sie, als sie auf die Straße traten.
»Zu Isabelle Dupoint«, kam es wie aus der Pistole geschossen
zurück. Es klang, als würde sich Dara über die Frage wundern.
Stanley nickte und studierte seinen Stadtplan.
»Dann nehmen wir die Métro bis Gare de Juvisy, und dort steigen wir um in die Schnellbahn nach Sainte-Geneviève-des-Bois. Von dort sind es zu Fuß nur zwei Häuserblocks.«
Dara nickte und marschierte los. Im Gehen warf sie einen Blick auf ihr Handy. Wenn man bedachte, dass sie noch nie in Paris gewesen war, wirkte sie äußerst selbstsicher, fand Stanley. Mehr als sonst jedenfalls. Sie sah aus, als wüsste sie genau, wo es langging.
Er eilte ihr hinterher.
44
Dara fand nicht, dass Paris überbewertet wurde, wie Ian Harte behauptet hatte. Im Gegenteil: Alles kam ihr exotisch vor, selbst die Fahrt in der stickigen Métro, die pfeifend und schnaufend durch das schier endlose dunkle Tunnelnetz rauschte. An der Decke über ihr brach sich das Sprachengewirr in rhythmischen Wellen, unter ihr stieg die Körperwärme von Hunderten von Menschen vom Boden auf. Mit einer Hand umklammerte sie einen Gummihaltegriff, mit der anderen das Mobiltelefon in ihrer Handtasche, für den Fall, dass es klingeln sollte, wobei sie hier unten ohnehin keinen Empfang hatte. Aber trotzdem. Wie sie so in dem schwülen Waggon stand, schien ihr Dublin sehr weit weg. Dara versuchte, nicht an Mrs. Flood zu denken, die auf ihre Rückkehr wartete, und auch nicht an Angel, die das Warten aufgegeben hatte.
Sie biss sich auf die Unterlippe und konzentrierte sich auf den vor ihr hängenden Métroplan. Sie fühlte sich in ihrem roten Kleid ungefähr so, als würde sie ein Paar von Angels Schuhen tragen – nicht unbehaglich, aber irgendwie fremd. Als würde sie der Welt eine ungewöhnliche Seite von sich präsentieren. Ein Mann in einem glänzenden weißen Anzug schnaubte ihr ins Ohr, und als sie sich zu ihm umdrehte, ließ er die Zunge über seine Zähne gleiten, was er offenbar für sexy hielt. Dara war nicht dieser Ansicht, zumal zwischen seinen oberen Schneidezähnen ein Stück
Fleisch hing. Schinken, genaugenommen. Sie wandte sich von seinem anzüglichen Blick ab und wich einen Schritt zurück, wobei sie Stanley prompt auf den Fuß trat.
»Herrje, entschuldigen Sie, Stanley, aber …« Jetzt spürte sie eine Hand an ihrem Oberschenkel, die sich nach oben bewegte. Weil so ein Gedränge herrschte, konnte sie nicht ausmachen, wem die Hand gehörte, also zuckte sie stattdessen mit dem Bein, worauf die Hand innehielt, sie in den Oberschenkel kniff und verschwand.
»Stanley, könnten Sie bitte mit mir reden?«
»Worüber denn?« Er wirkte besorgt, als fürchtete er, sie könnte gleich seine Unterhosen oder ein ähnlich peinliches Thema ansprechen.
»Egal, sagen Sie einfach irgendetwas … Ich wurde nämlich gerade angefasst und sehr anzüglich angegrinst.«
»Von wem?« Stanley schob sein iPhone in die vordere Hosentasche und ließ den Blick über die Umstehenden gleiten.
»Keine Ahnung.«
»Das liegt an Ihrem Kleid.«
»Wirkt es nuttig? Ich fand ja nicht, dass es nuttig aussieht, aber … oh, Gott, es wirkt nuttig, oder?«
»Es wirkt nicht nuttig«, widersprach Stanley so laut, dass sich einige Leute zu ihnen umdrehten und sie anstarrten. »Es ist … hübsch. Ein sehr hübsches Kleid.«
»Vielen Dank.«
»Keine Ursache.« Sie mussten beide lächeln über ihre steife Förmlichkeit.
»Also«, sagte Dara, »könnten Sie mir bitte irgendetwas erzählen? Ich hoffe mal, das wird die Leute davon abhalten, mich anzufassen oder anzüglich anzugrinsen.«
Das schien Stanley zu bezweifeln, doch er nickte und
stellte sich möglichst nah neben sie, ohne sie zu berühren, was Dara äußerst rührend fand. Er überlegte kurz. »Ich könnte über meine Brüder reden.«
»Warum?«
»Weil ich so viele habe. Damit sind wir mindestens bis Gare de Juvisy beschäftigt.«
Dara nickte lächelnd, und Stanley begann zu erzählen. Erst von Adrian, seinem jüngsten Bruder, gefolgt von Neal, Lorcan, und Declan. Nur über Cormac erfuhr Dara nichts. Als sie in die Station Gare de Juvisy einfuhren, beendete Stanley soeben seine Geschichte über Declan, der seiner Ehefrau Cathy zum ersten Hochzeitstag eine Laser-Enthaarung geschenkt hatte, worauf sie ihn für zweieinhalb Wochen in den Schuppen verbannt hatte. »Ich hab’s doch nur gut gemeint«, hatte er nach der ersten Woche
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