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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
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der da neben ihr saß. Warum eigentlich erst jetzt?



43
    Miss Pettigrew hatte das Hotel zu Recht als mondän bezeichnet. Es befand sich unweit der Place de la Concorde, und wann immer sich die Eingangstüren öffneten, drang gedämpfter Straßenlärm herein wie Rauch. Von außen sah es klein aus, innen jedoch wirkte es riesig. Überall Marmor und prächtige Kristalllüster, langbeinige Zimmermädchen mit kurzen Rüschenschürzen und Türsteher und Kofferträger, die angezogen waren, als wären sie auf dem Weg zu einem Maskenball. Von seinem Zimmer, das sich gleich neben Daras Zimmer befand, hatte Stanley einen Blick auf die Champs-Élysées, über die am westlichen Ende der Arc de Triomphe aufragte. Beim Anblick des Triumphbogens dachte er daran, wie sich Cora mit verschränkten Armen dagegengelehnt hatte, um auf ihn zu warten. Er hatte das Grabmal des unbekannten Soldaten besichtigen wollen, das sich darunter befand, hatte ein Foto machen und eventuell im Stillen ein paar Worte sagen wollen, noch nicht einmal ein Gebet, bloß ein paar Gedanken. Er hatte die zweihundertvierundachtzig Stufen nach oben erklimmen wollen, um die Aussicht auf Paris zu genießen, von der er im Reiseführer gelesen hatte.
    »Nun komm schon, Stanley, die Geschäfte schließen bald.«
    »Keine Sorge, die haben bis sechs auf.« Er wusste es. Er hatte nachgeschlagen.
    »Dann bleiben mir nur noch zwei Stunden.« Cora hatte sein Gesicht in beide Hände genommen. »Kommst du jetzt, Stanley? Bitte!« Und er hatte sich geschlagen gegeben. Damals war er jung gewesen, optimistischer. Er hatte angenommen, es würde helfen, all diese Kompromisse einzugehen. Aber im Endeffekt hatte ihm seine Kompromissbereitschaft nichts genützt. Rein gar nichts.
    Es klopfte, und er fuhr herum, wandte der Aussicht und seinen Erinnerungen den Rücken zu.
    Er erkannte Dara nicht gleich. Das rote Kleid, mit dem sie sich für Miss Pettigrew auf dem Eiffelturm fotografieren lassen sollte, hatte er schon völlig vergessen. Ohne die üblichen Bekleidungsschichten wirkte sie unerwartet zierlich. Ihre Arme und Beine sahen länger aus als sonst, ihr schwarzes Haar und die dunkelblauen Augen hoben sich von ihrer blassen, ebenmäßigen Haut ab. Es war ein knielanges Neckholder-Kleid, und der Schnitt war wie für sie gemacht. Er betonte ihren schlanken Hals und ihre … Nun, obwohl sich Stanley größte Mühe gab, nicht hinzusehen, kam er nicht umhin, ihre Brüste zu bemerken, die fest und keck und ehrlich gesagt weit üppiger waren, als Stanley vermutet hätte, wenn er sich schon einmal darüber Gedanken gemacht hätte. Das Kleid war zwar nicht eng geschnitten, aber da sich der fließende Stoff an ihre Konturen schmiegte, konnte Stanley erkennen, dass er recht gehabt hatte, was Daras Hüften anging – sie zeichneten sich unübersehbar als sanfte Rundung unter dem Stoff ab und wären selbst dem unaufmerksamsten Betrachter aufgefallen.
    »Dara«, sagte er. Es klang wie eine Frage.
    Dara spähte hastig nach rechts und links, den Korridor entlang.
    »Ich weiß, ich sehe lächerlich aus in diesem Aufzug,
vor allem um diese Uhrzeit, aber wenn ich das Kleid nicht gleich anziehe, muss ich es mitnehmen und mich unterwegs umziehen und …«
    »Sie sehen überhaupt nicht lächerlich aus«, widersprach Stanley. »Sie sehen …« Er suchte krampfhaft nach einem passenden Ausdruck. »… sehr hübsch aus.« Etwas Besseres wollte ihm partout nicht einfallen. »Sehr hübsch.« Und dann musste er es auch noch wiederholen! Im Geiste sah er Sissy mit zwei Kissen in der Hand die Treppe hinuntergaloppieren, bereit, ihn damit k.o. zu schlagen, und verpasste sich selbst zwei imaginäre Klapse auf den Hinterkopf, um ihr die Arbeit abzunehmen.
    »Wahrscheinlich wird mir darin ganz schön kalt. Der Stoff ist ziemlich dünn.«
    »Sie könnten ja eine Jacke darüber anziehen. Sofern Sie eine haben.«
    »Ich habe nur meinen Kapuzenpulli.«
    In diesem Augenblick fiel Stanley ein, wo sie waren. »Den werden Sie nicht brauchen. Es hat 22 Grad draußen.«
    »Stimmt, das ist eigentlich recht warm, nicht?«
    Stanley nickte und zerrte an seinem Hemdkragen, der an seinem Hals klebte. Es war in der Tat ziemlich warm.
    »Ich hole nur schnell meinen Zimmerschlüssel, dann können wir gehen«, sagte er. Dara nickte. War sie geschminkt? Wohl kaum. Soweit er sich erinnerte, waren ihre Wimpern von Natur aus so lang und dunkel.
    Oder?
    Das Kleid hatte ihn so aus der Fassung gebracht, dass er sich kaum noch an seinen

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