Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
Vom Netzwerk:
fallenden roten Kleid ganz oben auf der Spitze gestanden hatte, wie Miss Pettigrew es von ihr verlangt hatte. Hinter ihr erstreckte sich Paris wie ein Gemälde.
    »Ich lächle doch schon.«
    »Dann eben noch ein bisschen mehr«, sagte Stanley, obwohl er es hasste, wenn man ihm befahl, er solle lächeln. Darüber musste sie aus unerfindlichen Gründen lächeln, und er drückte ab.
    »Wie ist es geworden?«, rief sie, und Stanley wandte mit Mühe den Blick von dem Bild ab und sagte: »Ganz gut.«
    Erst da bemerkte er die Frau, die offenbar schon eine Weile schweigend neben ihm gestanden hatte.
    »Stellen Sie sisch zu ihr«, befahl sie leise. Ernst. Er warf einen Blick über die Schulter, wie man es macht, wenn man denkt, jemand anderer sei gemeint, doch hinter ihm war niemand.
    Die Frau war um die fünfzig und von Kopf bis Fuß Schwarz gekleidet. Sie trug eine riesige schwarze Sonnenbrille
und schwarze Lederhandschuhe, als wäre sie darauf bedacht, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
    Stanley lächelte sie an. »Äh, nein, schon gut, danke.«
    Sie erwiderte sein Lächeln nicht, sondern wiederholte: »Stellen Sie sisch zu ihr.«
    »Nein, wissen Sie, das ist nicht …«, stammelte Stanley, und ehe er wusste, wie ihm geschah, hatte sich die Frau auch schon sein iPhone geschnappt. Erst fürchtete er, sie wollte damit davonlaufen, wenngleich sie in ihren hochhackigen schwarzen Lederstiefeln wohl nicht allzu weit gekommen wäre. Doch sie blieb stehen wo sie war und maß ihn mit einem vernichtenden Blick. »Schöne Frauen dürfen nischt allein auf einem Foto sein«, sagte sie. Es klang, als wäre sie selbst einmal in Daras Lage gewesen und als hätte es ihr ganz und gar nicht behagt. »Nischt in Paris«, fügte sie kopfschüttelnd hinzu. »Isch erlaube es nischt.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber …«
    »STELLEN SIE SISCH ZU IHR!« Es war nicht gebrüllt, aber nahe dran. »Bitte?«, schob die Frau hinterher, wie um ihren Worten die Schärfe zu nehmen.
    Als Stanley später Sissy von dem Vorfall berichtete, fand er es schwierig, ihren drohenden Tonfall wiederzugeben. Er begab sich hastig zu Dara und nickte der Frau unauffällig zu in der Hoffnung, dass Dara nichts bemerken würde.
    Doch als er noch einen Schritt näher trat, wie es die Frau mit einer entsprechenden Geste von ihm gefordert hatte, fragte Dara: »Was ist los?«
    »Ach, die Frau da drüben will unbedingt ein Foto von uns beiden machen«, presste Stanley zwischen den Zähnen hervor, ohne mit dem Lächeln aufzuhören.
    »Aber …«
    »Ich weiß, ich weiß, aber könnten Sie einfach noch einmal zwei Sekunden lächeln? Oder vielleicht sogar fünf?«
    »Ich …«
    »Ich weiß, Dara, aber spielen Sie einfach mit, ja? Sie wirkte ein bisschen neben der Spur, und ich habe Angst um mein neues iPhone. Ich kann das Bild ja löschen, sobald sie weg ist.«
    Aber das tat er nicht, denn die Frau entpuppte sich als gute Fotografin. Sie wartete ab, bis Stanley die Gesichtsmuskeln entspannte und Dara etwas zu ihm sagte, das er nicht verstehen konnte. Er drehte den Kopf zur Seite und sah sie an, und Dara wiederholte das Gesagte und blickte ihm dabei in die Augen, als könne er nicht nur mit dem guten Ohr, sondern auch mit den Augen hören. Hinter ihnen hatte sich der Himmel über Paris gewölbt, blau wie ein Entenei und so hauchzart und zerbrechlich wie ein Schneckenhaus, das in tausend Stücke zerschellen würde, fiele es auf die Erde.
    »Wie finden Sie das hier?«, fragte Dara, die eben vor einem Lokal namens Danseur stehen geblieben war. Tänzer. Ein ungewöhnlicher Name für ein Restaurant, fand Stanley, aber schön.
    Er spähte hinein. Karierte Vorhänge an den Fenstern, in der Mitte zusammengehalten von karierten Bändern. Karierte Tischtücher auf den Tischen, die jeweils für zwei Personen gedeckt waren. Die beiden Kellnerinnen, die definitiv Schwestern, wenn nicht gar Zwillinge waren, trugen karierte Schürzen über kurzen schwarzen Kleidern und hatten sich das dunkle Haar mit karierten Schleifen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Drinnen war es schummrig. Das einzige Licht rührte von den langen Kerzen her, die auf den Tischen standen. Als Kerzenhalter dienten
leere Weinflaschen, die schon über und über mit Wachs bedeckt waren. Das Lokal sah aus wie ein Ort, an dem alles möglich war, was an der Uhr liegen mochte, die schief an der Wand hing und deren Zeiger schon auf fünf vor zwölf standen. Service à toute heure war auf dem Schild draußen vor

Weitere Kostenlose Bücher