Wenn ich dich gefunden habe
hatte.
»Gott, nein«, versicherte ihr Dara. »Nichts dergleichen. Ich möchte nur endlich leben wie ein normaler Mensch. Wie du. Als könnte nichts Schlimmes passieren. Das meine ich.«
»Manchmal passiert aber eben doch etwas Schlimmes.« Angel war noch nicht bereit, sich von ihrer pessimistischen Schwester zu verabschieden.
»Schon, aber es wird ohnehin passieren, nicht? Ganz egal, was ich tue«, wandte Dara ein.
Angel musterte sie prüfend und lächelte. »Du wagst dich also endlich hinaus in die Welt. Ich bin stolz auf dich.«
Dara lächelte zurück. Es fühlte sich tatsächlich so an, als hätte sie jahrelang in einer stickigen kleinen Besenkammer gehockt, und nun, da sie endlich den Sprung in die Welt da draußen geschafft hatte, konnte sie sich nicht erklären, warum sie so lange in diesem dunklen Loch gesessen hatte, in dem es nach alten Turnschuhen miefte.
»So, und jetzt erzähl von Paris.« Angel ließ sich auf dem Bett nieder und zog Dara neben sich.
»Im Grunde gibt es nicht viel zu erzählen.« Dara war noch nicht bereit, Stanley Flinter mit dem Rest der Welt zu teilen. Nicht einmal mit Angel. Dafür war es noch zu früh. Das brachte Unglück.
»Ach, komm schon, Dara. Erzähl mir irgendetwas. Außer diesem Lahmarsch von Leonard Cohen hatte ich in letzter Zeit keinerlei Gesellschaft. Ich weiß, das war allein meine Schuld, aber meine Güte, ist der Knabe rührselig. Es
war eine totale Zeitverschwendung, mich so lange selbst zu bemitleiden, und jetzt ist endgültig Schluss damit.«
»Es ging dir nicht gut, und das ist total verständlich. Du hast viel mitgemacht, einen Rückschlag erlitten.«
»Ich habe mich förmlich im Selbstmitleid gesuhlt.«
»Hast du nicht.«
»Hab ich doch.«
»Okay«, räumte Dara ein, »aber das hätte ich an deiner Stelle auch getan, und zwar noch viel ausführlicher.«
»Tja, ehrlich gesagt …«
»Ja?«
Angel begann an einer Haarsträhne zu kauen. »Na ja, ich hab’s endgültig satt, mich selbst zu bemitleiden. Ich langweile mich zu Tode. Wie oberflächlich ist das denn?«
»Das ist gar nicht oberflächlich«, widersprach Dara. »Nicht einmal Anya schafft es länger als ein Wochenende am Stück.«
»Ehrlich?« Angel, die Anya von ein paar Abenden im Doghouse kannte, war überrascht.
»Angeblich hält sie es länger aus, wenn sie in Polen ist, aber in Irland findet sie es schwieriger. Weil es hier so schön ist, sagt sie. Es nervt sie richtig.«
Angel lachte. Es klang wie ein Lieblingslied, das man seit Jahren nicht gehört hat und in das man unwillkürlich einstimmen möchte.
»Zu dumm, dass meine Niere allmählich abkackt«, sagte sie.
»Wir besorgen dir eine neue.« Dara erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder, so zuversichtlich klang sie.
54
Das Festnetztelefon klingelte. Sie zuckten zusammen, ehe sie losspurteten und hastig die Treppe hinunter polterten.
Aber es war bloß Anya.
»Tut mir leid, dass ich anrufä auf Festnetz, aber am Handy ich habe dich nicht ärreicht«, sagte sie. Dara nahm das Mobiltelefon aus der Tasche. Kein Empfang. Blödes Ding.
»Kein Problem«, sagte Dara, während sie sich zu Angel umdrehte und den Kopf schüttelte. Diese nickte und ging.
»Du hast Mr. Flood nicht gäfunden?« Es klang wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.
»Nein.«
»Das tut mir leid.«
»Ich weiß. Danke, Anya.« Dara wartete ab, wohlwissend, dass Anya nicht deswegen angerufen hatte. Es musste etwas passiert sein, etwas, das so wichtig war, dass sie sogar auf ihrem Festnetztelefon anrief. Genau so war es auch.
»Äs gibt Neuigkeiten.« Anya redete nicht lange um den heißen Brei herum, wenn sie am Telefon war. Sonst eigentlich auch nicht. »Äs geht um Lucky«, sagte sie ernst.
Dara schwante Schlimmes. Sie rüstete sich.
»Är hat kleines Mädchen gäbissen.«
»Nein!«
»Doch. Tut mir leid, Dara, aber är muss auf die Bank. Äs gibt keine Alternativä.« Auf die Bank, das klang, als
ginge es um einen Ersatzfußballspieler, der auf seinen Einsatz warten musste und nicht um einen Hund, dessen Leben auf dem Spiel stand.
»Aber … Warst du dabei, als es passiert ist?«
»Ich habä Biss gesehen, Dara. War schlimm. Musste genäht werden.« Tintin murmelte etwas im Hintergrund.
»Was sagt Tintin?«, fragte Dara. »Gib ihn mir mal, bitte.«
Es raschelte, als hätte Anya die Hand über die Sprechmuschel gelegt. Dara hörte, wie sie etwas zischte, dann flüsterte Tintin: »Du musst es ihr sagen!« Tintin flüsterte lauter, als andere
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