Wenn ich dich gefunden habe
zerrte an Stanleys Arm, doch Stanley ließ nicht los. Er zog die andere Hand aus der Tasche und holte aus.
Es fühlte sich an, als würde er in Zeitlupe zuschlagen. Er sah, wie sich seine Faust durch die Luft bewegte, auf Cormacs Nase zu. Spürte den Widerstand. Registrierte das
harte Krachen. Den feuchten Aufprall. Cormac taumelte durch die Wucht des Schlags nach hinten, gegen den Tresen, dann krümmte er sich zusammen und presste sich die Hände auf das Gesicht. »Du hast mir die Nase gebrochen, du verfluchter Wichser!« Seine Worte waren nur schwer zu verstehen, aber der Tonfall war unverkennbar: Ungläubigkeit. Cormac ließ die Hände sinken und betrachtete sie. »Ich blute«, stellte er fest. »Du hast mir tatsächlich die Nase blutig geschlagen!« Er sank kopfschüttelnd auf einen Barhocker.
Stanley lächelte. »Gut«, sagte er. Er hatte noch nie jemandem die Nase gebrochen oder auch nur blutig geschlagen. Später würde er sich dafür schämen, aber in diesem Moment wollte er mehr. »Steh auf, Cormac«, befahl er seinem Bruder mit fester, entschlossener Stimme. »Ich werde dich noch einmal schlagen.«
»Was machst du denn da, Stanley? Was zum Teufel soll das?« Ein weiterer Flinter-Bruder gesellte sich zu ihnen. Stanley wusste nicht, welcher. Er sah nur Cormac. Er packte ihn erneut am Hemd und zerrte ihn vom Barhocker.
Cormac war wohl von seiner schmerzenden Nase abgelenkt, oder er traute Stanley nicht zu, dass er tatsächlich ein zweites Mal zuschlagen würde – er hatte es ihm ja schon beim ersten Mal nicht zugetraut. Jedenfalls stand er mit ratloser Miene da, und seine Lippen begannen ein Wort zu formen, doch ehe er es aussprechen konnte, schwang Stanley wieder die Faust. Diesmal traf er einen von Cormacs hohen Wangenknochen, auf die dieser sehr stolz war, seit eine seiner Exfreundinnen einmal seine edlen Züge und insbesondere seine Wangenknochen bewundert hatte.
Der Schrei, den Cormac hervorstieß, war eher ein Quieken.
Er taumelte rückwärts, stieß gegen einen Barhocker, der wackelte, ehe er zu Boden fiel und Cormack mit ihm.
»Ich an deiner Stelle würde jetzt schleunigst die Fliege machen, Bruderherz«, sagte Lorcan und betrachtete Stanley mit einer Mischung aus Stolz und Angst.
»Ich gehe nirgendwohin.« Stanley stieg über den sich krümmenden Cormac hinweg und lehnte sich an die Bar. Er zitterte. »Ich nehm einen Jameson. Willst du auch einen?«
Lorcan nahm jeden Gratisdrink an, selbst wenn er sich damit quasi ins Auge des Sturms begab. »Klar, warum nicht.«
Stanley hatte genügend Zeit, die Whiskeys zu bezahlen und sein Glas zu leeren, ehe Cormac wieder auf die Beine kam. Sein Gesicht bot ein Bild der Verwüstung. Blut strömte aus seiner Nase, er hatte ein Cut auf der Wange, und sein linkes Auge begann bereits zuzuschwellen. Er stürzte sich auf Stanley. »Na, warte, du miese kleine Ratte, du!«
Stanley musste einen Satz in die Luft machen, um Cormac in den Schwitzkasten zu nehmen, und dann hielt er ihn mit eisernem Griff umklammert, während Cormac sinnlos die Fäuste schwang. Er landete lediglich ein paar lahme Treffer auf Stanleys Hintern, den Dara erst gestern noch bewundert hatte. Es kam Stanley vor, als wäre das schon ewig her.
»Jungs, tut mir verdammt nochmal einen Gefallen und prügelt euch vor der Tür, ja?«, flehte der Barkeeper. »Der Laden ist frisch renoviert.« Er schüttelte resigniert den Kopf, wohlwissend, dass es keinen Zweck hatte, die Polizei zu rufen – der ganze Trupp war bereits hier in seinem Pub. In seinem frisch renovierten Pub.
Stanley schob Cormac auf einen Stuhl und ließ seinen Kopf los. Dann hob er die Fäuste und sah zu, dass er aus der Gefahrenzone kam, doch Cormac hatte schon zu Mittag mit dem Feiern angefangen und inzwischen eingesehen, dass er keine Chance gegen ihn hatte. Er saß kopfschüttelnd und mit hängenden Schultern da, die Hand erhoben, als müsste er unter einer defekten Ampel den Verkehr regeln.
»Du siehst beschissen aus«, bemerkte Stanley, stellte sein Glas auf dem Tresen ab und bedeutete dem Barkeeper, es noch einmal zu füllen.
»Du hast mir verdammt nochmal die Nase gebrochen«, wiederholte Cormac. Es klang eher überrascht als verärgert.
»Und du hast mir verdammt nochmal das Herz gebrochen«, erinnerte ihn Stanley.
Cormac beugte sich zu Stanley hinüber. »Dann sind wir jetzt quitt, oder was?«
»Schätze schon«, sagte Stanley. Er hatte schon nach dem ersten Schlag einen pochenden Schmerz in der Faust verspürt
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