Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
Vom Netzwerk:
alles war. Progression, das klang so harmlos. Positiv sogar. Erstrebenswert. Was für eine absurde Bezeichnung. Dara hätte beinahe gelacht, doch sie tat es nicht. Sie riss sich am Riemen, erstickte den Zorn mit der Löschdecke ihrer Entschlossenheit und verbannte die Angst in die hinterste Ecke ihres Gehirns. Sie flüchtete vor ihren Schuldgefühlen. Sie hätte bei Angel bleiben sollen. Aber für Selbstvorwürfe war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Später würde sie noch genügend Gelegenheit dafür haben.
    »Wann kann sie wieder nach Hause?«, fragte Mrs. Flood den Arzt. Ihre Finger spielten mit dem Heiligenbildchen von Pater Pio, das in ihrer Hosentasche steckte.
    »Wir würden sie gern eine Weile hierbehalten«, kam die ausweichende Antwort. »Ihr Blutdruck ist nach wie vor zu hoch und muss überwacht werden. Sobald wir den Blutdruck wieder unter Kontrolle haben, sehen wir weiter, ja?«
Er schob sich einen Kugelschreiber in die Brusttasche seines respekteinflößenden Kittels, und lächelte Mrs. Flood an, die sich größte Mühe gab, das Lächeln zu erwidern.
    »Verstehe«, sagte sie, obwohl sie wie Dara gar nichts verstand. Es gab nichts zu verstehen.
    Sie nahmen rechts und links von Angels Bett Platz und betrachteten sie. Dara legte eine Hand auf Angels Brust, die sich bei jedem Atemzug hob und senkte. Ein beruhigendes Gefühl.
    Mrs. Flood saß mit gesenktem Kopf da, und als sie das Gesicht in den Händen barg, dauerte es eine Weile, bis Dara begriff, dass sie nicht betete, sondern weinte und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Dara zog den Trennvorhang zu, weil sie wusste, dass ihre Mutter nicht so gesehen werden wollte.
    Mrs. Flood sah zu Angel, um sich zu versichern, dass sie noch schlief. »Der Anruf wird nie kommen«, flüsterte sie grimmig und presste sich die geballten Fäuste in die Augenhöhlen, als könnte sie auf diese Weise die Tränen zurückhalten. Es nützte nichts. Sie sickerten durch ihre fleischigen Finger, liefen ihr über die Handgelenke und tropften auf den Boden.
    Dara ging um das Bett herum und kauerte sich neben sie. »Sag das nicht.« Die füllige Gestalt ihrer Mutter, die sonst so warm und weich war, fühlte sich kalt an. »Natürlich wird der Anruf kommen.«
    Mrs. Flood schüttelte den Kopf, lehnte sich an Dara und weinte noch verzweifelter. Es fühlte sich seltsam an, ihre Mutter so im Arm zu halten. Dara wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Sie musste daran denken, wie sie mit zehn in ein Brennnesselfeld gefallen war. Ihre Mutter hatte sie mit Essig eingerieben: Arme, Beine, Hals, Gesicht. Der
Essig hatte fast so schlimm gebrannt wie die Brennnesseln. Doch davor hatte sie sie in den Armen gewiegt und getröstet. Daran erinnerte sich Dara nun plötzlich mit einer Deutlichkeit, die ihr beinahe die Sinne raubte.
    Und nun wiegte sie Mrs. Flood in den Armen und tröstete sie, genau wie Mrs. Flood es damals getan hatte, als Dara zehn Jahre alt gewesen war.
    Schließlich machte sich Mrs. Flood von ihr los, schnäuzte sich, wischte sich die Tränen aus den Augen und verkündete, sie sei nun bereit für eine weitere Tasse grauenhaft schmeckenden Tees. Dara bestand darauf, zur Cafeteria zu gehen. Sie brauchte etwas Abstand von ihrer Familie. Nur ganz kurz, um sich zu sammeln. Keiner von ihnen würde je wieder den Anruf oder die Möglichkeit seines Ausbleibens erwähnen. Wobei es jetzt ohnehin einerlei war. Dara hatte ihre Zweifel gehabt, was den Anruf anging, mehr als einmal, wenn sie ehrlich war, aber sie hatte sie nie laut ausgesprochen. Doch Mrs. Flood hatte es getan. Und nun waren die Worte draußen, wie entflohene Sträflinge, und keine von ihnen konnte etwas tun, um es ungeschehen zu machen. Sie waren wie ein Dorn, der zu tief in der Fußsohle vergraben war. Man sah ihn nicht, aber er war trotzdem da und schmerzte bei jedem Schritt.
    Genau das war es, was Dara stets zu vermeiden versucht hatte: Enttäuschung. Verlust. Und der lange Weg, der letztendlich zum unvermeidbaren Verfall führte.



III



61
    Stanley Flinter sah zu, dass er beschäftigt war. Er arbeitete meist bis spät in die Nacht hinein und erledigte selbst Dinge, die er sonst immer hinausschob. Die Ablage, die Entsorgung einer weiteren Zimmerpflanze, die er zugrunde gerichtet hatte, lästiger Papierkram. Und er hängte das Regal wieder auf, das damals von der Wand gefallen war, an dem Tag, an dem Dara Flood zu ihm gekommen war.
    Er rief sogar in der Buchhaltung der Versicherungsfirmen an, die ihm zwar

Weitere Kostenlose Bücher