Wenn ich dich gefunden habe
Slither fort. »Er hatte keine andere Wahl. Shylock hat ihm zu verstehen gegeben, dass er, wenn er das Geld nicht in einer Woche beisammen hat, keinen Krankenwagen brauchen wird.«
»Wie hat er sich genannt?«, fragte Dara.
Schweigen. Sie konnte förmlich hören, wie Slither zögerte. »Ich werde es niemandem erzählen. Ich will nur mit ihm reden, das ist alles«, sagte sie.
Slither atmete hörbar aus, und Dara war froh, dass sie sich nicht persönlich gegenübersaßen.
»Gene Waters. Er fand, das klingt gut, und außerdem ist es gar nicht so weit von seinem richtigen Namen entfernt, sodass er es sich ohne Weiteres merken konnte.«
Gene Waters. Das hatte tatsächlich einen gewissen Klang. Ehe Dara die nächste Frage stellen konnte, sagte Slither:
»Er ging nach Manchester. Dort gab’s damals reichlich Arbeit für Leute, die ’ne Schaufel und ’n Pickel halten konnten. Ich hab seine Adresse, aber ich hab schon eine ganze Weile nichts mehr von ihm gehört. Zuletzt zu Weihnachten, da hat er mir ’ne Karte geschickt.«
Slither legte eine Pause ein, um an seiner Zigarette zu ziehen und einen Schluck zu trinken. Dara wusste nicht, was sie empfand. Ob sie überhaupt etwas empfand.
»Warum erzählen Sie mir das jetzt?«, fragte sie plötzlich.
»Ich hätt’s dir natürlich schon neulich im Pub erzählen sollen«, räumte Slither ein, »aber ich musste ihm versprechen, dass ich den Mund halte. Falls irgendjemand nach ihm fragt. Er sagte, sein Leben sei in Gefahr. Und ich hab ihm geglaubt, nachdem ich seinen Zustand in Manchester gesehen habe.«
»Und warum haben Sie Ihre Meinung geändert?«
»Weil du mir nicht mehr aus dem Kopf gehst, Dara Flood«, sagte Slither. Es klang, als würden seine Gedanken sonst nur um Bier, Zigaretten und die aktuelle Ausgabe der Racing Post kreisen. »Bist ihm ja auch wie aus dem Gesicht geschnitten. Und dann kam die Sache mit Lord Lucan, und seither plagt mich Tag und Nacht das schlechte Gewissen …« er verstummte verlegen.
»Es ist sehr nett, dass Sie mich anrufen«, sagte Dara hastig. »Ich weiß es zu schätzen, Slither. Vielen Dank.«
»Schreib mir per SMS deine E-Mail-Adresse, dann schicke ich dir Eugenes Anschrift in Manchester. Und wenn’s dich das nächste Mal nach Bailieborough verschlägt, dann spendier ich dir ’ne Cola und eine Tüte Chips von McGoverns. Sowas Leckeres hast du noch nie gegessen, das schwör ich dir, Dara Flood.«
»Danke«, sagte Dara. Es kam garantiert nicht oft vor, dass Slither Smith jemandem etwas spendierte.
»Und vergiss nicht, mir ’n Tipp für das Rennen in Listowel zu geben, ja?« Slither konnte es kaum erwarten, wieder zum Geschäftlichen zurückzukehren, nachdem er seine gute Tat vollbracht hatte.
»Mach ich.« Dara erhob sich. »Aber ich würde mir nicht zu viele Hoffnungen …«
»Lass das nur meine Sorge sein, ja?«
»Also gut, wenn Sie wirklich meinen, dass …«
»Tu ich, tu ich«, sagte Slither und legte auf.
63
»Tag Mrs. Flood. Ich wollte zu Dara«, sagte Stanley, als endlich die Tür aufging.
Mrs. Flood hielt einen mit Daras großer, verschnörkelter Handschrift bedeckten Zettel hoch. »Sie ist weg«, sagte sie mit einem Blick auf den Zettel und schüttelte den Kopf.
Ihre Kleider waren zerknittert, als hätte sie darin geschlafen, und ihre Frisur sah aus wie ein längst verlassenes Vogelnest.
»Wissen Sie, wo sie ist? Ich … muss mit ihr reden. Es ist wichtig.« Erst als er es nun aussprach, wurde ihm klar, wie wichtig es war, was ihn nur in seinem Entschluss bekräftigte.
»Es ist wohl das Beste, wenn Sie reinkommen«, sagte Mrs. Flood. Stanley folgte ihr in die Küche, wo zu seiner Überraschung eine ziemliche Unordnung herrschte. »Tut mir leid, dass es hier so aussieht«, murmelte Mrs. Flood, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Bei uns ging es ziemlich drunter und drüber seit der Sache mit Angel.«
»Was war denn mit Angel?«
»Hat Dara Ihnen das nicht erzählt?«
»Äh, nein, ich … habe ein paar Tage nichts von ihr gehört.«
»Angel ist zusammengebrochen und war bis gestern im Krankenhaus.«
»Ist sie … Wird sie wieder gesund?«
Mrs. Flood wischte gedankenverloren mit der Hand ein paar Krümel vom Tisch und warf sie in die Spüle. »So Gott will.« Sie schaltete den Wasserkocher ein und sank dann schwer auf einen Stuhl. »Ihr Blutdruck war zu hoch. Ist er immer noch, aber zum Glück nicht mehr so schlimm.« Sie biss sich auf die Lippe.
Der Wasserkessel begann zu pfeifen. Stanley
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