Wenn ich dich gefunden habe
Miss Pettigrew zum Salzstreuer griff, wandte sie den Blick ab und sah hinaus auf die Straße. Sie wusste, ihre Nachbarin wartete nur auf eine Gelegenheit, um sie zu fragen, was los war. Und Dara würde es ihr erzählen. Aber wie sollte sie anfangen?
»Wo ist Edward?«, fragte sie.
»Oben. Er schmollt, weil ich ihn vorhin gebadet habe.«
Miss Pettigrew badete ihren Pudel weit öfter als nötig, wie Dara fand. Zugegeben, bei einem weißen Fell sah man sofort jeden Fleck, allerdings hatte Edwards Fell nie Flecken.
»Ich hole ihn.« Miss Pettigrew stellte das Tablett auf einen Hocker. Sie hatte nur das halbe Ei und ein Viertel der Scheibe Toast gegessen, aber sie hatte zumindest den Tee getrunken und den Schokoriegel verputzt, den ihr Dara stets mitbrachte.
Dara ging in die Küche und legte die Eierform zurück in die zweite Schublade, in der Miss Pettigrew neben dem Brotmesser und der Käsereibe das einzige Foto von sich und Manus MacBride aufbewahrte. Soweit Dara wusste, hatten es die beiden nie bis zum Altar geschafft. Es hatte Hochzeitspläne und ein Versprechen gegeben, aber das Happy End war ausgeblieben. Dara wischte mit dem Daumen über das staubige Glas. Das Bild zeigte Miss Pettigrew als hübsche junge Frau, genauso zierlich wie jetzt und mit langem blondem Haar, das ihr vertrauensvoll der Sonne zugewandtes Gesicht wie ein Heiligenschein umrahmte. Der Ansatz eines Lächelns spiegelte sich in ihren feinen Zügen.
Hinter ihr stand Manus MacBride, der wortbrüchige Verlobte. Der Mann, wegen dem sie London verlassen hatte. Er war zweifellos ein attraktiver Kerl, mit dunklem Haar, das ihm in die eckige Stirn fiel, und strahlend blauen Augen, so voller Möglichkeiten. Er sah aus wie ein Mann, der reihenweise Herzen brach. Nun, eines jedenfalls. Miss Pettigrews Herz.
Sie hatte es nie verwunden und war nie nach London zurückgekehrt. Sie habe sich geschämt, hatte sie Dara mal an einem Freitagabend nach zwei Gläsern Sherry anvertraut.
Als Dara Schritte auf der Treppe vernahm, legte sie hastig das Foto zurück und schloss die Schublade. Miss Pettigrew trat in die Küche, die Nase an Edwards Nacken geschmiegt.
»Ich weiß, mein Liebling«, flüsterte sie in sein lockiges Fell. »Mummy will doch nur, dass du schön sauber bist.«
Dara streckte die Arme nach dem Pudel aus. »Na, komm.«
Edward, der Dara fast genauso innig liebte wie sein Frauchen, begab sich bereitwillig zu ihr und leckte ihr den Hals, ehe er ihr die Pfoten auf die Schultern legte und die feuchte Nase in ihr kurzes schwarzes Haar drückte. Dara lachte, lauter und länger als sonst. Es tat richtig gut.
Sie gingen zurück ins Wohnzimmer, wo sich Miss Pettigrew wieder in ihrem Fauteuil am Fenster niederließ. »Es gibt schlechte Neuigkeiten, nicht?«, fragte sie ohne Umschweife. Dara nahm ein Hundespielzeug von der Couch, setzte sich und öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus, also nickte sie bloß. Miss Pettigrew schwieg ebenfalls. Sie schloss die Augen und saß eine Weile mit gesenktem Kopf da, als würde sie beten. Als sie die Augen
wieder aufschlug, glänzten sie verräterisch. Wenn sie jetzt blinzelte, würde sich eine Träne über ihre fast durchscheinende Haut stehlen. Sie hatte in Daras Anwesenheit noch nie geweint, aber Dara konnte sich ungefähr vorstellen, wie es klingen würde. Ein leises Schluchzen, das von den Verlusten eines ganzen Lebens erzählte. Tieftraurig, wie das Winseln der Hunde, die bei ihnen im Hundeasyl abgegeben wurden. Dara hätte es nicht ertragen, das zu hören. Nicht heute.
Sie beugte sich nach vorn und ergriff eine von Miss Pettigrews schmalen Händen. Unter der weichen Haut, so dünn wie Krepppapier, konnte sie deutlich die Knochen spüren. Drücken konnte man diese Hand nicht, also tätschelte sie sie sanft, bis sich Miss Pettigrew wieder gefangen hatte und ihren Haarknoten zurechtrückte.
»Erst dachte ich schon, es wäre endlich so weit«, sagte sie. »Als ihr neulich mitten in der Nacht losgerast seid. Aber ihr seid viel zu bald zurückgekommen, zu dritt, und nachdem gestern niemand bei mir war, habe ich schon befürchtet …« Dara fragte sich oft, ob ihre Nachbarin eigentlich je schlief. »Schlafen kann ich später, wenn meine Zeit gekommen ist«, sagte Miss Pettigrew oft. »Schlaf wird ohnehin total überbewertet.«
»Tut mir leid«, murmelte Dara. »Ich hätte vorbeischauen sollen. Aber Angel geht es nicht gut. Ich wollte sie nicht alleinlassen.«
»Hatten sie eine Niere?«, wollte Miss
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