Wenn ich dich gefunden habe
berichtete von Picknicks am Strand mit sandigen Schinkensandwiches und Tee, von Besuchen im Zoo und von Weihnachten – diesem einen Weihnachten, an dem sie die mechanische Krippe in der St. Martin’s Church am Parnell Square besichtigten. Wann immer Mrs. Flood davon erzählte, erwähnte sie, dass die Sonne schien. Selbst zu Weihnachten sei es damals warm gewesen. »Ich kann mich nicht entsinnen, dass es davor oder danach je einen so warmen Dezembertag gegeben hätte«, betonte sie stets mit einem versonnenen Lächeln.
Als Kind hatte sich Dara die verschiedensten Szenarios ausgemalt. Dass er einem Serienmörder zum Opfer gefallen war und, in kleine Stücke zerhackt, in einem Koffer
irgendwo in den Wicklow Mountains vergraben lag. Dass er unheilbar krank gewesen war und es nicht übers Herz gebracht hatte, Mrs. Flood davon zu erzählen, wohl wissend, dass sie daran zerbrechen würde. Oder dass er gestürzt und mit dem Kopf auf der Bordsteinkante aufgeschlagen war und sich danach an nichts erinnern konnte. Dass er nie zurückgekehrt war, weil er vergessen hatte, wo er wohnte … In ihrer fanatischen Science-Fiction-Phase hatte sie sich kurz sogar vorgestellt, er sei von Außerirdischen entführt worden, aber irgendwie war ihr diese Erklärung schon damals recht weit hergeholt erschienen.
In den letzten Jahren hatte sich Dara mit der einleuchtendsten Erklärung von allen abgefunden:
Mr. Flood hatte die Entscheidung, nicht zurückzukommen, ganz bewusst getroffen. Es hatte keinen Unfall gegeben, keinen Serienmörder, keine Amnesie, keine Aliens. Nur einen Mann, der eine Weile glücklich gewesen war, solange sie zu dritt gewesen waren – Mrs. Flood, Angel und er. Das bewiesen die paar Fotos, die nach all den Jahren noch gerahmt auf der Kommode im Flur standen. Und dann war Mrs. Flood wieder schwanger geworden, und plötzlich war Mr. Flood nicht mehr glücklich gewesen. Es hatte kaum Arbeit gegeben, das Geld war knapp. Bei diesem Teil der Geschichte angelangt, sprach Mrs. Flood stets mit schriller Stimme, und dann presste sie die Lippen fest aufeinander. Aber das Ende blieb immer gleich: Mr. Flood war bloß ein Mann, weder glücklich noch traurig. Ein Mann, der beschlossen hatte, nicht zu seiner Familie zurückzukehren.
Heute dachte Dara nicht an Mr. Flood, sondern an Angel. Sie versuchte, sich ihr Lächeln in Erinnerung zu rufen, doch vor ihrem geistigen Auge sah sie nur, wie Angel das
Gesicht in den Händen barg und auf dem Rücksitz des Autos kaum hörbar weinte. Sie musste Angel davon überzeugen, dass es bald wieder einen Anruf vom Krankenhaus geben würde. Eine neue Niere. Eine passende diesmal.
»Sie werden anrufen«, flüsterte Dara halblaut, so grimmig, dass Edward vor Schreck aufwinselte.
Jetzt musste sie nur noch sich selbst überzeugen.
7
Die Einladung kam per Post.
Ein rosa Umschlag mit rotem Siegel. »Liebe(r) …« stand in der obersten Zeile, und Cora hatte in ihrer verschnörkelten Handschrift Stanley & Begleitung daneben gemalt, mit einem Ausrufezeichen hinter dem Wort Begleitung, als handle es sich um eine Art Insiderwitz zwischen ihnen.
Die Verlobungsfeier stieg im Odessa Club in der Dame Lane. Wir würden uns freuen, wenn Ihr dieses erfreuliche Ereignis mit uns feiern würdet. Unter die Abkürzung UAWG am Schluss hatte Cora geschrieben: Du brauchst nicht zu antworten; ich weiß ja, dass du kommst. C. xxx
Stanley knüllte die Einladung zusammen und pfefferte sie in den Mülleimer, doch sie prallte vom Rand ab und rollte ihm wieder vor die Füße. Er trat danach, und Clouseau, der das für ein neues Spiel hielt, stürzte sich laut bellend auf das Papierknäuel, um es zu apportieren. Dann stupste er Stanley mit dem Kopf an, bis dieser das Geschoss entnervt aufhob und erneut quer durch den Raum warf, worauf Clouseau bellend losgaloppierte, um es zurückzubringen.
»Was schenkt man eigentlich zu einer Verlobung?«, erkundigte sich Stanley kurz darauf bei Sissy.
»Hm …« Sie überlegte. »Ganz schön knifflig. In Anbetracht der Tatsache, dass die Verlobte deine Exfreundin
ist und deinen Bruder heiratet, würde ich sagen, gar nichts.«
»Ich kann unmöglich mit leeren Händen hingehen.«
»Okay, dann schenk ihnen eine Flasche Whiskey.«
»Cora hasst Whiskey.«
»Genau deshalb.« Sissy schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Und bring eine Frau mit. Eine, die so richtig toll aussieht. Lange Beine, langes Haar. Ich könnte dir Kay leihen, sie ist nicht so groß. Die perfekte
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