Wenn ich dich gefunden habe
hoffnungsloser Fall, was Geschenke anbelangte. Im Vorjahr hatte er ihrer Mutter zu Weihnachten einen Tiegel Silcock’s Base geschenkt. Im Grunde also Vaseline.
»Das ist eine rückfettende Feuchtigkeitscreme«, hatte er lächelnd erklärt.
»Und was bedeutet das?«, hatte Stanley wissen wollen.
»Wenn du das in deinem Alter noch nicht weißt, dann brauchst du es auch nicht mehr zu erfahren«, hatte Declan schnippisch entgegnet, woraus Stanley geschlossen hatte, dass auch Declan keine Ahnung hatte.
Mrs. Flinter hatte nur matt »Oh … danke, Liebes« gehaucht. Beklagen durfte sie sich nicht, schließlich hatte sie den Jungs von klein auf eingebläut, dass man jedes Geschenk schätzen musste, weil es ja der Gedanke war, der zählte.
Blieb also nur noch Cormac. Der hätte ihm zwar garantiert
ohne zu zögern einen Tipp in Bezug auf das Verlobungsgeschenk gegeben, aber er sollte auf keinen Fall erfahren, dass sich Stanley deswegen so viele Gedanken gemacht hatte.
8
Es waren die Kleinigkeiten, die Dara am meisten vermisste.
Angels System beim Einräumen des Geschirrspülers zum Beispiel: das Besteck sortiert nach Messer, Gabeln, Löffel und »Sonstiges«, sprich, alles, was nicht in die drei vorhergehenden Kategorien passte. Sparschäler, Apfelentkerner und Spatel etwa. Holzlöffel wurden von Hand gewaschen. Es gab mehrere solcher Regeln, die es peinlich genau einzuhalten galt. Bei den Tellern gehörten die großen nach hinten, die kleinen nach vorn. Die Henkel der Tassen mussten alle in eine Richtung weisen, damit man sie einfacher herausnehmen konnte.
Das war nur eine der Kleinigkeiten, die Dara auffiel. Wann immer sie die Spülmaschine öffnete, musste sie daran denken, denn jetzt gab es kein System mehr. Nur schmutziges Geschirr oder sauberes. Und dann wieder schmutziges. Ein ewiger Kreislauf. Doch die Ordnung war dahin.
Da Angel ihr Zimmer kaum verließ, verbrachten Dara und Mrs. Flood viel Zeit miteinander, was ihre Beziehung belastete. Sie rieben sich aneinander wund wie man sich in einem neuen Paar Schuhe die Fersen wundreibt.
Dara bemühte sich, das Schweigen mit Gesprächen zu füllen.
»Heute wirkt Angel etwas fröhlicher, nicht?«
Mrs. Flood schüttelte den Kopf, ohne Dara anzusehen.
»Ich meine, sie ist noch nicht wieder die Alte, aber …«
»Sie ist meilenweit davon entfernt«, keifte Mrs. Flood.
»Ja, zugegeben. Ich meinte auch nur …« Sie brach ab. Sie wusste nicht, was sie meinte. Ihre Mutter hatte recht. Angel war nicht wiederzuerkennen.
Mrs. Flood starrte Dara an. »Ich hasse es, wenn du das machst.«
»Was?«
»Du hörst mitten im Satz auf zu reden. Das ist nervtötend.«
»Ich weiß. Tut mir leid. Es ist nur …«
»Da, du tust es schon wieder.«
»Nein, tu ich nicht. Ich wollte nur …«
Mrs. Flood lehnte sich in ihrem Fauteuil zurück und schloss die Augen. Ende der Unterhaltung, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Auf dem Weg zur Tür hörte Dara ihre Mutter etwas murmeln. Sie drehte sich um. Mrs. Flood schüttelte den Kopf. Ihr Strickzeug hatte sie achtlos in ihren Schoß sinken lassen.
»Wie bitte?«
Mrs. Flood starrte sie an, als wäre sie überrascht, weil sich ihre Tochter noch im selben Raum befand. »Es kommt einem einfach so unfair vor, nicht?«
»Was meinst du?«
»Ich meine, warum Angel? Warum trifft es ausgerechnet sie, wo sie doch so vieles hat, wofür es sich zu leben lohnt?«
Als sich Dara diese Worte nachts noch einmal durch den Kopf gehen ließ, kam sie unwillkürlich zu dem Schluss, dass Mrs. Flood es vorgezogen hätte, wenn es an Angels Stelle sie erwischt hätte. Wenn sie an terminaler Niereninsuffizienz leiden würde.
Dara flüchtete ohne zu antworten in die Küche, um Kuchen
zu backen. Beim Teigkneten ballte sie die Hände zu Fäusten und setzte das Gewicht ihres Körpers ein.
Mrs. Flood kam in die Küche, um sich eine Tasse Tee zu machen. »Du Glückliche«, sagte sie. »Das Einzige, über das du dir den Kopf zerbrechen musst, ist dein Apfelkuchen. Dein Vater war auch so. Sorglos und unbekümmert.«
In diesem Augenblick klingelte es zu Daras grenzenloser Erleichterung an der Tür. »Ich geh schon.« Sie wischte sich die mehligen Hände an der Hose ab und eilte hinaus.
Es war Joe. Dara lächelte, als sie ihn sah. Alle taten das. »Geradezu lächerlich attraktiv«, hatte Tintin gesagt und mit der Zunge geschnalzt, als er Joe kennengelernt hatte. Joe war in der Tat der reinste Märchenprinz – groß, langbeinig, breitschultrig.
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