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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
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meinem Ehemann spüre, dass er … mich betrügt.«
    Stanley behielt für sich, dass ihr Verdacht in Bezug auf ihren Ehemann wohl eher auf akute Paranoia zurückzuführen war als auf irgendwelche übersinnlichen Fähigkeiten. Das fiel nicht in seinen Aufgabenbereich.
    »Dann melden Sie sich also in einer Woche?«, fragte er.
    Sie seufzte. »Ich wünschte, Sie würden mich nicht so lange warten lassen.«
    »Ich habe da so ein Gefühl, dass Sie es sich anders überlegen werden.«
    »Sind Sie etwa auch hellseherisch veranlagt?«
    »Nein, das sind eher Erfahrungswerte.«
    »Ich muss sagen, mir ist tatsächlich schon etwas leichter ums Herz«, stellte die Frau überrascht fest. Stanley hörte, wie sie sich den restlichen Inhalt der Weinflasche einschenkte. Morgen früh würde sie wünschen, sie hätte ihn niemals angerufen. Er war ziemlich sicher, dass sie sich nicht noch einmal melden würde. Trotzdem fragte er sie noch nach ihrem Namen, damit auch alles seine Richtigkeit hatte.
    »Irene«, sagte sie.
    »Und Ihr Ehemann, wie heißt der?«, fragte er und griff nach Notizbuch und Stift.
    »Ian«, sagte die Frau, und ihre Stimme klang erneut tränenerstickt. »Ian Harte.«



19
    Am darauffolgenden Montag widerfuhr Dara etwas, das ihr noch nie widerfahren war. Sie musste sich in der Notaufnahme des Beaumont Hospitals eine Tetanusspritze geben lassen. Zum allerersten Mal. Weil sie ein Hund gebissen hatte. Zum allerersten Mal.
    Tintin hatte den Hund gleich morgens entdeckt. Er war am Zaun in der Nähe des Eingangstors festgebunden, mit einem kurzen, schmutzigen Strick, der ihm tief ins Fleisch schnitt. Der Hund gab ein tiefes, bedrohliches Dauerknurren von sich, das lauter wurde, sobald sich ihm jemand näherte. Tintin hatte unverzüglich Dara angerufen, die gerade auf dem Fahrrad unterwegs war.
    »Wir haben hier Alarmstufe Rot«, hatte er ins Telefon geflüstert. Das unheilvolle Knurren, das im Hintergrund zu hören war, kam Dara nicht bekannt vor.
    »Ein Neuzugang?« Sie legte einen Zahn zu.
    »Ausgesetzt und neben dem Gatter festgebunden«, berichtete Tintin. »Er ist in einem erbärmlichen Zustand.«
    »Lass bloß die Finger von ihm.« Dara klemmte sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr und stand auf, um noch kräftiger in die Pedale treten zu können.
    »Sitzt du etwa gerade auf dem Fahrrad?«, fragte Tintin.
    »Ich bin fast da.«
    »Leg sofort auf! Das ist gefährlich!«
    »Weiß ich.«
    »Worauf wartest du dann noch?«
    »Darauf, dass du endlich aufhörst, mit mir zu reden, du Witzbold.«
    »Okay, ich hör jetzt auf.«
    »Und fass den Hund nicht an!«, japste Dara.
    »Das hast du schon gesagt.« Überflüssigerweise, denn Tintin dachte nicht im Traum daran, dieser sichtlich beißwütigen Bestie auch nur einen Schritt zu nahe zu kommen.
    Das ist wohl der hässlichste Hund, den ich je gesehen habe, dachte Dara unwillkürlich, als sie das Tier erblickte. Ein Gedanke, den sie jedoch niemals laut ausgesprochen hätte. Nichts an ihm passte zusammen – ein massiger Körper mit winzigem Kopf, langen Schlappohren, kurzen Beine, dicken Pfoten und einem Stummelschwänzchen.
    »Dem Himmel sei Dank, da kommt der Hundeflüsterer«, flachste Tintin zu Anya gewandt, die mit dem selig schlummernden Jack Nickerchen auf dem Arm auf der Treppe vor ihrem Eckbüro stand. Doch Dara entging nicht, dass ihm ein Schweißtropfen über das Gesicht lief.
    Sie legte das Fahrrad auf den Boden und zog ihre Warnweste und die kratzende, viel zu warme Wollmütze (ein Werk ihrer Mutter) aus. Dann ging sie in die Knie und schob sich langsam vorwärts, wobei sie den Blick gesenkt hielt. Als sie Tintin passierte, berührte er sie flüchtig am Arm. »Geh nicht zu nah ran, Dara«, zischte er. »Er ist extrem aggressiv.«
    Der Hund wirkte in der Tat äußerst angriffslustig. Von seinen Lefzen troff Schaum, und seine gesträubten Nackenhaare standen kerzengerade in die Luft.
    Sein dunkles Fell strotzte vor Dreck und wies nebst einigen kahlen Stellen – ein eindeutiges Stresssymptom –
auch jede Menge Striemen auf, manche davon noch relativ frisch.
    »Är ist alt«, stellte Anya fest.
    Dara nickte. Der Hund hatte mindestens zehn Jahre auf dem Buckel, vielleicht sogar zwölf oder dreizehn.
    Sie kroch näher. Er knurrte unablässig, wie ein Motor im Leerlauf, wenn auch nicht mehr ganz so laut.
    »Ruhig. Ganz ruhig«, flüsterte Dara, als müsste sie ein neugeborenes Baby beruhigen. Sie streckte ihm die Hand hin.
    »Das ist nah genug, Dara«, sagte Anya.

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