Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
Vom Netzwerk:
Sie fischte ihr Handy aus der Tasche.
    »Ich lasse ihn bloß an mir riechen«, sagte Dara, ohne sich umzudrehen.
    »Du Teufelsweib«, hauchte Tintin.
    »Du spielst mit däm Tod«, pflichtete Anya ihm bei.
    »Leben«, korrigierte Tintin sie.
    »Was?«
    »Es heißt Du spielst mit deinem Leben, nicht mit dem Tod. Man kann aber auch sagen dem Tod ins Gesicht sehen oder ins Auge blicken. Oder den Tod riskieren. Oder dem Tod gerade noch einmal von der Schippe springen  …«
    »Er trägt ein Namensschild«, sagte Dara mit leiser, monotoner Stimme.
    »Ein Namensschild? So sieht er gar nicht aus. Was steht denn drauf?«, wollte Tintin wissen.
    Das Schildchen zitterte im Takt mit dem Geknurr, das aus der Kehle des Hundes drang. Dara starrte darauf, bis sie die Aufschrift entziffern konnte.
    »Lucky«, flüsterte sie. Sie konnte nun schon fast seinen Kopf berühren.
    »Nicht sehr passend für so einen Unglücksraben«, sagte
Tintin, und Dara musste ihm recht geben. Dieser Hund sah ganz danach aus, als wäre er dazu verdammt, demnächst eine Reise ohne Wiederkehr anzutreten. Eine, die auf dem sterilen OP-Tisch des Tierarztes enden würde.
    In diesem Augenblick beugte sich der Hund – noch immer knurrend – ein Stück nach vorn und schob die Schnauze in Daras ausgestreckte Hand, sodass sie seine Nase umfing wie ein Maulkorb.
    »Pass auf!«, schrien Anya und Tintin wie aus einem Mund.
    »Keine Sorge, er will doch nur …«
    »Ich rufe dän Tierarzt an«, verkündete Anya. Sie wussten alle, wie sein Urteil lauten würde.
    »WARTE!« Was nun folgte, erlebte Dara wie in Zeitlupe. Sie erinnerte sich später, dass sie sich zu Anya umgedreht hatte. Der scharfkantige Kies bohrte sich wie Reißnägel in ihre Knie; der Arm, den sie Lucky hinhielt, schwankte. Dummerweise ließ sie ihn ausgestreckt, statt ihn zurückzuziehen, wie sie es gelernt hatte, und plötzlich machte der Hund eine ruckartige Bewegung nach vorn und versenkte seine scharfen Zähne in die zarte Haut ihres Handgelenks. Eigentlich war es eher ein Kratzer als ein Biss, denn der Strick um seinen Hals zog ihn sofort wieder nach hinten.
    Im ersten Moment war Dara nur überrascht. Erst später, als sie neben Tintin auf einem der harten Plastikstühle in der Notaufnahme saß, kam der Schmerz. Ein dumpfer Dauerschmerz. Sie fröstelte.
    »Hier«, sagte Tintin und legte ihr seine Jacke um die Schultern. »Wahrscheinlich hast du eine PTBS.« Dara glaubte, einen Anflug von Sensationslust aus seinen Worten herauszuhören.
    »Eine was?«
    »Eine posttraumatische Belastungsstörung«, erklärte er.
    »Du guckst zu viel Grey’s Anatomy.« Dara vermied es, den Verband um ihr Handgelenk anzuschauen, den ihr Anya im Büro angelegt hatte. Er war blutrot wie eine Requisite aus einem Splatter-Movie, weshalb Dara krampfhaft versuchte, ihn vor Tintin zu verbergen, der ihrer Meinung nach viel anfälliger für eine PTBS war als sie.
    »Du bist ja ganz blass.« Tintin legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Und verschwitzt.«
    »Mir ist heiß. Ist ja auch kein Wunder, bei der Affenhitze hier drin.« Dara wandte den Kopf ab. »Und außerdem habe ich Hunger. Ich habe heute noch nichts gefrühstückt.«
    »Ich geh dir etwas holen. Einen Mars-Riegel?«
    »Und eine Tasse Tee, wenn’s geht.«
    »Meine Güte, kaum wirst du mal von einem Hund angefallen, bringst du gleich die Hol-mir-mein-Riechsalz -Nummer!« Tintin erhob sich und grinste auf sie hinunter.
    »Von anfallen kann keine Rede sein.«
    »Wie würdest du es denn dann nennen?«
    »Es war kaum mehr als ein … Kneifen.« Dara zog den Ärmel ihrer Fleecejacke über den blutgetränkten Verband.
    »Nenn es, wie du willst, aber diesem Hund wirst du nicht helfen können. Bei dem ist Hopfen und Malz verloren«, sagte Tintin grimmig.
    »Anya hat versprochen, erst eine Entscheidung zu treffen, wenn ich zurück bin«, erinnerte Dara ihn.
    Tintin ließ sich noch einmal neben ihr nieder. »Du kannst sie nicht alle retten.«
    »Jemand muss ihn mal geliebt haben, sonst hieße er nicht Lucky. Er hatte Pech, das ist alles. Er braucht bloß …«
    »Dara, ich fürchte, mit einer Portion von deinem Hundeeintopf,
einer Wärmflasche und acht Stunden Schlaf ist es bei Lucky nicht getan.«
    Daras Hundeeintopf bestand im Großen und Ganzen aus denselben Zutaten wie ihr Eintopf für Menschen, mal abgesehen von der Kaninchenleber, von der sie Tintin, der zwei Kaninchen besaß, ohnehin nichts verriet.
    Sobald sich Tintin auf den Weg gemacht hatte, rief sie Anya an.

Weitere Kostenlose Bücher