Wenn ich dich gefunden habe
erst zu dir kommen musste. Du hast immer so eine beruhigende Wirkung auf mich.«
Stanley umklammerte die Kante der Arbeitsplatte und zwang sich, ihren Worten nicht allzu viel Bedeutung beizumessen. Oder noch besser gar keine. Cora sagte ständig Sachen, die seine Hoffnung weckten. Aber er hatte die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass man ihre Worte nicht ernst nehmen durfte. Inzwischen wusste er das.
Er öffnete den Kühlschrank. »Ich habe keine Würstchen«, rief er. »Aber eine Flasche Gin, vorausgesetzt, du trinkst ihn mit Apfelsaft.«
»Im Moment würde ich ihn sogar mit Babynahrung trinken.«
»Musst du nicht«, antwortete Stanley mit erhobener Stimme, um den Entsafter zu übertönen.
»Du machst den Apfelsaft selbst?« Cora stand in der Tür.
Er fuhr zusammen. Ließ hastig den Blick durch die Küche gleiten und versuchte, sie mit Coras Augen zu sehen. Alles picobello sauber. Zu sauber? Nein. Er dachte an den
Handabdruck am Fenster, der der Größe nach zu urteilen von Sissy stammte. »Hände wie Baggerschaufeln«, sagte ihre Mutter stets zu jedem, der zufällig in der Nähe war.
»Äh, ja«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf den Entsafter. »Schmeckt einfach besser als der gekaufte.«
»Grundgütiger.« Cora ließ sich auf einen Küchenstuhl plumpsen und stützte den Kopf in die Hände. Die Haare hingen ihr wie ein Vorhang über das Gesicht. »Was duftet hier eigentlich so toll?«
»Die Brownies.« Das Duftspray erwähnte Stanley nicht.
»Und alles ist so sauber«, fuhr Cora fort, als hätte er nichts gesagt.
»Das war Sissy. Sie erwartet nachher Besuch«, log er.
»Sag bloß, das Mannweib hat sich einen Kerl geangelt?« Cora spähte grinsend durch einen Spalt im Stirnfransenvorhang.
»Du sollst sie doch nicht so nennen. Das ist nicht nett.«
»Ich bin nicht nett, Stanley, aber das weißt du ja bereits, stimmt’s?« Sie sah ihn an, und in diesem Augenblick schlug die Atmosphäre in der Küche um. Es knisterte. Er wandte sich ab und spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten, als würden sie zu Cora hinstreben, die sich hinter ihm postiert hatte und zweifellos mit ihren seltsamen grünen Augen auf ihn hinunterblickte wie eine Katze auf die Maus, mit der sie spielt. Er drehte sich nicht um, sondern sah zu, dass er beschäftigt war. Er drückte zu viele Eiswürfel in den Mörser, den ihm seine Mutter zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, und zerkleinerte sie mit dem Stößel. Er schaltete noch einmal den Entsafter an, auf die höchste Stufe, obwohl die Äpfel bereits nur noch Matsch waren. Holte unter lautem Geklimper zwei Gläser aus dem Geschirrschrank und summte dabei vor sich hin, um die
Küche mit allerlei Geräuschen zu füllen, als könnten sie ihn vor dem Knistern beschützen, das womöglich nur ihm aufgefallen war.
Cora, die sich rasch langweilte, hatte es bald satt, darauf zu lauern, dass etwas passierte und setzte sich wieder an den Küchentisch.
»Es tut sich überhaupt nichts Aufregendes mehr«, klagte sie leise, als würde sie ein Selbstgespräch führen. »Es geht den ganzen Tag nur noch um dreckige Windeln und zerdrückte Bananen und ums Zahnen und darum, wer nachts mit dem Aufstehen dran ist. Und natürlich behauptet dein feiner Herr Bruder jedes Mal, ich sei dran. Dieser Wichser.«
Stanley antwortete nicht. Er dekorierte Coras Drink mit einem Pfefferminzblatt, einem Papierschirmchen und einer Kirsche und stellte ihr das Glas hin. »Ta-daa.«
Cora schenkte ihm ihr katzenhaftes Lächeln. »Du bist immer so nett zu mir, Stanley. Das warst du seit jeher.« Sie wirkte erstaunt, als sie das sagte, als wäre es ihr eben erst klar geworden. Dann nahm sie das Schirmchen und spießte mit der Spitze die Kirsche auf.
Stanley setzte sich nicht zu ihr, sondern trat zur Anrichte und schenkte sich selbst einen vierfachen Gin ein, den er im Stehen trank. Der Alkohol trieb ihm die Tränen in die Augen. Zum Glück konnte Cora sein Gesicht nicht sehen.
»Stanley, hast du dich eigentlich schon mal gefragt …«
Weiter kam Cora nicht, denn in diesem Augenblick marschierte Sissy herein. Sie trug Stanleys Bademantel, der ihr gerade mal bis zum Knie reichte – »Ich hab meinen nicht gefunden« –, und hatte sich ein Handtuch wie einen Turban um den Kopf gewickelt. Stanley war noch nie so froh gewesen, seine große, schöne Mitbewohnerin zu sehen.
»Sissy! Setz dich, setz dich! Trink etwas mit uns, iss einen Brownie«, sagte er.
»Hallo, Sissy«, sagte Cora scheu, wobei sie knapp
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