Wenn ich dich gefunden habe
an ihr vorbeiblickte.
»Hi.« Sissy nahm Coras Anwesenheit gleichgültig zur Kenntnis. Sie hatte ihr einmal, vor einer ganzen Weile, gründlich den Marsch geblasen. Das hatte gereicht.
»Wie kann man nur Brüder ficken!«, hatte sie sie angebrüllt. »Brüder, Himmelherrgottnochmal!«
»Ich … Es ist einfach passiert«, hatte Cora gejammert. »Ich wollte Stanley nicht weh tun.«
»Aber du hast ihm weh getan!«
»Er wird drüber wegkommen. Er wird eine andere finden. Eine Bessere als mich. Er hat eine Bessere verdient.«
»Da hast du verdammt recht.« Mehr gab es dazu nicht zu sagen, also hatte Sissy es dabei belassen. Es würde immer Frauen wie Cora geben, die Männern wie Stanley das Herz brachen, das war ihr klar, aber deswegen musste sie es noch lange nicht gutheißen. Sie hätte Cora nur zu gern einen kleinen Denkzettel verpasst, aber sie wusste, es wäre Stanley nicht recht gewesen.
»Nein danke, Stanley, ich …« Sie brach ab, als sie seinen flehentlichen Blick sah. »Also gut, aber nur einen, danke«, sagte sie und nahm das Glas mit Dafür-schuldest-du-miretwas -Miene entgegen. »Ist Dara schon weg?«
»Wer?«, meldete sich Cora zu Wort.
»Die Hundetrainerin«, erinnerte Stanley sie und stellte Wasser auf, um Cora eine starke Tasse Kaffee zu machen, damit sie auch gut nach Hause kam.
»Du hattest übrigens recht, Stanley …« Sissy kippte ihren Drink und schmatzte genüsslich mit den vollen, sinnlichen Lippen, und als sie sicher war, dass sie Coras volle
Aufmerksamkeit hatte, fuhr sie fort: »Sie ist echt attraktiv.«
Cora riss den Kopf herum, und Stanley lief unter ihrem prüfenden Blick feuerrot an.
»Das hab ich nie behauptet«, verteidigte er sich pikiert.
»Hast du nicht?«, fragte Sissy mit Unschuldsmiene. Wenn sie diesen Gesichtsausdruck aufsetzte, nannte ihre Mutter sie immer mein Lämmchen. »Okay, aber du hast es definitiv gedacht. Ich hab’s dir deutlich angesehen.«
Stanley grinste Cora mit einem hilflosen Achselzucken an, dann drehte er sich zur Anrichte um und machte sich umständlich daran, die Kaffeebohnen zu mahlen. Er wusste, Sissy meinte es gut, aber sie hätte durchaus etwas weniger offensichtlich vorgehen können.
Cora erhob sich. »Ich geh dann mal«, verkündete sie.
»Ich mache gerade Kaffee für dich.«
»Ich muss die Kleine abholen. Ich habe deiner Mutter versprochen, um neun zurück zu sein.«
Stanley sah auf die Uhr. Es war kurz vor zehn.
»Du bist spät dran«, bemerkte Sissy überflüssigerweise.
»Das macht Brenda nichts aus. Sie passt gern auf Cora auf, nicht, Stanley?« Das stimmte, und Cora nützte diese Tatsache auch weidlich aus.
»Du kannst ihn ja mitnehmen. Wir haben sicher noch irgendwo Pappbecher.« Stanley begann in einem Schrank zu kramen.
»Lass gut sein, Stanley.« Cora griff nach ihrem Autoschlüssel. »Sonst geht mein schöner Schwips gleich wieder flöten, und der war bisher der Höhepunkt des Tages für mich.«
Stanley brachte ihr ihren Mantel, während Cora mit nach hinten ausgestreckten Armen dastand wie eine Vogelscheuche
und wartete. »Danke, Stanley.« Sie drehte sich zu ihm um, und ehe er etwas erwidern konnte, hatte sie sich auch schon hinuntergebeugt und ihm einen sanften Kuss auf den Mundwinkel gegeben. Einen, der die Grenze zwischen platonisch und unangebracht verschwimmen ließ. Sie roch nach Gin und Pfefferminz. Stanley wich zurück.
»Ich … Ich sollte Clouseau reinlassen«, sagte er, weil ihm partout nichts anderes einfiel. »Er holt sich noch den Tod bei dieser Kälte.«
Cora tat, als hätte sie es nicht gehört und schenkte ihm ihr langsames, wissendes Lächeln. »Bis bald, Stanley«, sagte sie und drehte sich so schwungvoll um, dass ihre Haarspitzen seine Wange streiften. Er wartete, bis sie im Auto saß, ehe er sich dort kratzte.
»Sie hat ihren Schal dagelassen«, stellte Sissy fest, und er zuckte zusammen. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Warum eigentlich? Er hatte doch nichts getan, oder?
»Der Trick ist uralt«, fuhr Sissy fort, ohne zu ahnen, was in Stanley vorging.
»Was meinst du?«
»Ich meine, dass Cora zurückkommen wird, mein Lieber. Um ihren Schal zu holen.« Sissy malte mit den Fingern zwei Anführungszeichen in die Luft und schwenkte den Schal vor Stanleys Nase. »Und zwar schon bald, wenn ich richtig liege, und mal ehrlich, das tue ich normalerweise. Sie wird allein sein, und sie wird kommen, wenn sie weiß, dass ich außer Haus bin.«
Stanley
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