Wenn ich dich gefunden habe
Flood stand auf, als wollte sie hinausgehen. Dara erhob sich ebenfalls und stellte sich ihr in den Weg.
»ICH WAR ACHT JAHRE ALT«, schrie sie. Sie, die niemals
die Stimme erhob, die Konfrontationen mied wie Tintin Hülsenfrüchte. Sie, die nie wieder erwähnt hatte, was ihre Mutter an jenem Tag zu ihr gesagt hatte, dabei hatte sie über diesen Tag mehr nachgedacht als für sie gut war. Sie hatte ihn nie vergessen. Sie hatte Omelettes machen wollen, um ihre Mutter zu überraschen. Stattdessen hatte ihre Mutter sie überrascht. Sie war früher als erwartet und bereits schlecht gelaunt von der Arbeit nach Hause gekommen, hatte die Tür zugeschlagen und war wutschnaubend den Flur entlangmarschiert. Dara hatte gerade die Eier vom Kühlschrank zur Anrichte getragen. Sie hatte mit ihrem Schuluniformpullover eine kleine Kuhle geformt und vorsichtig die sechs Eier darin platziert. In der anderen Hand hielt sie mit vor Anstrengung verkrampften Fingern die Milchflasche umklammert.
Als die Küchentür aufflog, schrak sie zusammen, und alles fiel zu Boden. Sie erinnerte sich daran, wie die sechs Eier durch die Luft segelten, fast wie in Zeitlupe, sah sich mit den Händen danach tappen. Sie wusste, die Milch war verloren, aber die Eier – bis zum Schluss dachte sie, sie könnte wenigstens eines davon retten. Nur eines.
Die Ohrfeige. Die einzige, die sie je bekommen hat. Dara erinnerte sich immer noch an den Klang. Sie wusste nicht mehr, ob es weh getan hatte, aber sie hatte noch immer das laute Klatschen im Ohr.
Später schlich Angel mit einem Marmeladebrot nach oben. Milch brachte sie ihr keine, es war keine mehr da. »Warum ist Mammy immer sauer?«, fragte Dara. Sie sagte nicht »auf mich«. Das musste sie nicht.
»Weil Daddy weggegangen ist«, antwortete Angel sachlich.
»Wo ist er hin?«
»Weit weg«, sagte Angel. »Wahrscheinlich nach Indien.« Ihre Klasse war gerade mit einem Projekt über Indien beschäftigt.
»Warum hat er mich nicht mitgenommen? Du warst damals noch nicht auf der Welt.«
»Wo war ich?«, hatte Dara geflüstert.
Angel hatte geseufzt und den Teller unter das Bett geschoben, unter dem Dara mit Cloth kauerte, einer Decke, die sie von frühester Kindheit an überall mit sich herumschleppte. »Iss dein Marmeladebrot«, hatte Angel ihr befohlen.
Dara und Mrs. Flood standen sich in der Küche gegenüber, genau wie vor all den Jahren, als Dara acht gewesen war. Diesmal jedoch ohne zerbrochene Eier, ohne verschüttete Milch, ohne Glassplitter auf dem Fußboden. Niemand schrie, und es wurden keine Ohrfeigen verteilt. Es herrschte Stille. Selbst die Musik oben in Angels Zimmer war verstummt. Die Stille wirkte irgendwie konzentriert. Als würde das Haus lauschen und abwarten, was als Nächstes geschah.
»Ich nehme an, du hast es Angel erzählt«, sagte Mrs. Flood schließlich. Dara schüttelte den Kopf. Ihre Mutter ging zur Tür. Diesmal versuchte Dara nicht, sie daran zu hindern. Mrs. Flood blieb stehen. Ihre Hand umklammerte den Knauf. »Weißt du, Dara, damals, als du acht Jahre alt warst … Zu der Zeit ging es mir nicht gut. Ich … Ich musste ganztags arbeiten und deine Schwester und dich allein großziehen. Ich war ständig müde, und ich … habe die Beherrschung verloren. Ich habe Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen.«
Dara nickte. »Ich weiß. Es tut mir leid.«
Mrs. Flood zögerte. »Das muss es nicht. Du hast nichts falsch gemacht«, sagte sie, dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Es war beinahe eine Entschuldigung.
34
Als es am darauffolgenden Abend um acht an der Tür klingelte, stand Dara in der Küche und machte Baiserringe, die in ihren Augen immer etwas ausgesprochen Erhebendes hatten. Ausdrücke wie verführerisch und exquisit schienen nur für diese Köstlichkeit erdacht worden zu sein.
»Gehst du, Dara?«, rief ihre Mutter aus dem Wohnzimmer. »Ich nehme gerade ein Fußbad.« Seit ihrer gestrigen Unterhaltung, die mit einer Beinaheentschuldigung geendet hatte, herrschte eine Art unausgesprochener Waffenstillstand zwischen ihnen. Das Fußbad gehörte auch dazu. Dara hatte es ihrer Mutter vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt, weil diese oft über schmerzende Füße geklagt hatte. Sie bezeichnete ihre Füße als »die Truppen« und die Schmerzen als »Kollateralschäden im Kampf gegen ungepflegtes Haar«. Trotzdem hatte der Karton mit dem Gerät unberührt unter dem Bett gestanden, seit ihn Mrs. Flood damals zu Weihnachten aus dem
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