Wenn ich dich gefunden habe
sich, wann sie am besten mit ihrer Mutter reden sollte. Vielleicht nach dem Essen. Oder wenn das Glas Wein seine Wirkung zeigte, das Mrs. Flood getrunken hatte, um nach dem harten Tag ein wenig runterzukommen. Ja, das war vielleicht ein guter Zeitpunkt, um das Thema anzuschneiden. Dara wartete.
»Musst du unbedingt so lesen?«, fragte Mrs. Flood später. Das war auf den Zeigefinger gemünzt, den Dara beim Lesen stets unter der Zeile mitwandern ließ. Dara nahm die Hand von der Seite.
Mrs. Flood blickte wieder zum Fernseher. Obwohl sie inzwischen so viele verschiedene Sender empfangen konnten, hatte sie sich bereits durch alle durchgezappt und war wieder beim ersten angelangt. Sie seufzte lange und laut.
»Nie kommt irgendetwas Interessantes«, klagte sie und legte die Fernbedienung auf der Armlehne ihres Sessels ab.
Dara ließ ihr Buch sinken. Sie konnte sich ohnehin nicht darauf konzentrieren, wenn ihr Zeigefinger nicht wie ein
Lineal unter den Worten entlangrutschte. Sie angelte sich die Fernbedienung. »Ich schalte ihn aus. Wir könnten uns ja mal unterhalten.«
Mrs. Flood wirkte überrascht über den Vorschlag. »Worüber?«
»Na ja …« Dara zögerte.
»Ja?«, fragte Mrs. Flood ungeduldig, aber in ihren Augen flackerte etwas auf, das an Misstrauen erinnerte.
Dara ruderte zurück. »Könntest du mir vielleicht die Haare schneiden? Nur die Spitzen.«
»Und waschen vermutlich auch, oder?« Ihre Mutter stemmte sich mit beiden Händen aus dem Sessel hoch und ging kopfschüttelnd hinaus, um ihre Friseurtasche zu holen.
»Äh, ja, bitte«, rief Dara ihr nach. Sie folgte ihrer Mutter in die Küche und setzte sich auf einen Stuhl vor der Spüle. Es hatte etwas Tröstliches zuzusehen, wie ihre Mutter den Gummischlauch an den Wasserhahn steckte. Zu hören, wie das Wasser auf ihre Hände spritzte, während sie abwartete, bis es die richtige Temperatur hatte. Den Kopf in den Nacken zu legen und in die Handfläche ihrer Mutter zu betten. Zu spüren, wie das warme Wasser über die Kopfhaut lief, wie die Finger ihrer Mutter durch ihre Haare glitten, sie kneteten wie Teig. Kräftig und sanft zugleich. Gründlich, aber vorsichtig. In Momenten wie diesen konnten Dara und ihre Mutter kommunizieren, ohne ein Wort zu sagen. Das mussten sie auch nicht. Das Schnippschnipp-schnipp der Schere war wie eine Unterhaltung, leise und deutlich. Der sanfte Atemhauch, der Daras Wange streifte, wenn ihre Mutter mit der Zunge zwischen den Zähnen vor ihr stand und sich Strähne um Strähne vornahm, die gekappten Spitzen inspizierte, hin und wieder
einen Schritt zurücktrat, nickte, weitermachte. Während sie ihr die Stirnfransen schnitt, streiften ihre Fingerspitzen zuweilen Daras Gesicht. Warm und weich. Sie rochen nach Shampoo und Maiglöckchen. Aber da war noch ein anderer Duft, süß und fruchtig, den Dara nicht benennen konnte, aber stets mit ihrer Mutter in Verbindung brachte.
»So«, sagte Mrs. Flood schließlich und trat zurück, um ihr Werk zu begutachten. Sie beugte sich nach vorn, strich ihr eine Strähne hinters Ohr, trat erneut zurück, nickte. »Fertig«, sagte sie, wie immer.
»Danke.« Dara erhob sich und ging zum Spiegel. Außer Mrs. Flood und ihr selbst konnte nie jemand erkennen, dass sie sich die Haare hatte schneiden lassen.
Mrs. Flood stand hinter ihr und betrachtete ihr Spiegelbild. »Du siehst deinem Vater so unheimlich ähnlich«, stellte sie fest, und Dara musterte sie vorsichtig. Der Gesichtsausdruck ihrer Mutter war distanziert, aber durchsetzt von einer Spur Zärtlichkeit. »Er hatte genau dasselbe seidige schwarze Haar wie du.«
»Hast du ihm auch die Haare geschnitten?«, wagte Dara zu fragen, da Mrs. Floods Worte nicht wie sonst vor ätzender Bitterkeit troffen.
Ihre Mutter nickte mit einem Lächeln in den Augen. »Jeden Freitagabend«, sagte sie, »ob er es nötig hatte oder nicht. Er liebte es, die Haare geschnitten zu bekommen. Das war die einzige Zeit, in der er wirklich entspannt war.« Sie lächelte über irgendeine Erinnerung, die nur sie sehen konnte, und einen Augenblick lang war es, als würde er zwischen ihnen stehen. Dara gab sich einen Ruck.
»Mam …?«, begann sie und setzte sich an den Küchentisch.
»Ja?«, fragte ihre Mutter wie von weither, als müsste sie
sich erst von der Erinnerung lösen, in die sie sich eingehüllt hatte. Dara zögerte, ehe sie weitersprach.
»Ich hab dir doch von Stanley Flinter erzählt, nicht?«
»Der Privatdetektiv?«, fragte ihre Mutter. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher