Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
teuer wäre, würde ich es nicht verkaufen, Señor. Warum sollte ich hier draußen Benzin zum normalen Preis verkaufen, da könnte ich ja gleich woanders hinziehen. Was würden Sie denn an meiner Stelle machen?«
»Dasselbe wie Sie, Señor.«
»Sie geben mir also recht?«
»Sí, Señor.«
»Dafür kriegen Sie einen Extrarabatt.«
Wir kaufen dreißig Liter, und das Männlein schenkt uns zwei dazu, kassiert das Geld, füllt mit äußerster Gewissenhaftigkeit das Benzin ein und verabschiedet sich.
Wir fahren wieder los. Ich würde gern bis Acapulco kommen, rechne mir aber aus, dass es noch eine ziemliche Strecke ist. Vielleicht lohnt sich die Anstrengung, ich konsultiere den Vizekommandanten, und er antwortet: »Weiter, Papa.«
Es ist schon dunkel, als wir in Acapulco eintreffen. Beleuchtete Wolkenkratzer und der chaotische Verkehr verdrängen sogleich die Bilder der Hütten entlang der Straße. Wir haben Hunger und finden zufällig ein italienisches Restaurant, wo wir ausgezeichnet essen und den Besitzer kennenlernen, einen fünfzigjährigen Kalabresen. Giovanni verbringt den Abend mit uns. Nachdem ich wochenlang kein Italienisch gesprochen habe, freut es mich, mit jemandem zu plaudern wie mit einem alten Freund. Wir entdecken, dass wir am gleichen Tag geboren sind.
Es ist seltsam: Wir sprechen nicht über das Italien von heute, sondern über das von vor dreißig Jahren, seinen alten Alfa GT , die langen Haare, die Diskos, eine verheiratete Frau, in die er sich verliebt hatte und vor der er, um keine Probleme zu kriegen, geflüchtet war. Denn wenn du nicht aufpasst, finden dich die Probleme jederzeit.
Er lächelt gerührt, während er ein bisschen mit Andrea spielt, und vertraut mir an, dass sein Sohn manisch-depressiv ist.
»Die Krankheit eines Kindes verlangt einem ungeheuer viel Kraft ab«, sagt Giovanni.
»Und wenn du aufgibst, ist alles aus.«
»Wenn du wüsstest, wie viel ich geweint habe…«
»Und ich erst…«, murmele ich.
Ich erzähle ihm von einer Reise nach Siena. Andrea war drei Tage mit seiner Mutter dort gewesen, um eine Reihe von Untersuchungen machen zu lassen, die die Diagnose endgültig bestätigt hatten, und ich fuhr die beiden abholen. Dreihundert Kilometer lang habe ich im Auto geheult und geschrien.
Es war meine Art, das Schicksal anzunehmen. Aber dabei habe ich auch begriffen, dass ich nicht mit tränenlosem Weinen und Zähneknirschen durchs Leben gehen wollte. Ich hatte nicht vor, alles runterzuschlucken, mich die ganze Zeit in Sackgassen zu verrennen oder in einem Sumpf zu waten. Angesichts dieser Prüfung würde ich lächeln lernen. Zwar würde mir das nicht leichtfallen, aber ich wollte mich der Aufgabe so verantwortungsbewusst und entschlossen wie möglich stellen. Auf positive Weise.
Acapulco
Strecken und räkeln, gähnen, Andrea an den Fußsohlen kitzeln – wir sind entspannt. Ganz im Gegensatz zu den in der Nacht angekommenen SMS : Der plötzliche Kurswechsel Richtung Süden hat Verwandte und Freunde überrumpelt.
»Kennt ihr überhaupt den Weg?«
»Tequila gab’s doch auch in den States zu kaufen!«
»Vergesst nicht, uns zwei Sombreros mitzubringen.«
»Kommt ihr irgendwann zurück oder soll ich nachkommen?«
Sie haben ja recht, aber die Reise legt ihre Route gewissermaßen selber fest.
»Sehr gut, jetzt führt kein Weg mehr an Tulum vorbei.«
»Los, kommt nach Tulum!«
»Wir erwarten euch!«
Das ist Lorenzo, der uns noch weiter runter locken möchte.
In Acapulco ist der Strand sehr steil, riesige, mächtige Wellen brechen sich am Ufer. Du stehst am Rand, bis zu den Knien im Wasser, die Welle kommt, zieht dir den Boden unter den Füßen weg und hebt dich in die Höhe. Herrlich, geradezu hypnotisch, Andrea lässt sich ununterbrochen hochheben. Es ist nicht nur Ausdauer und auch keine zwanghafte Wiederholung. Er ist glücklich. Körperlich glücklich, unmittelbar, aus dem Bauch heraus, wie ein aus dem Meer springender Buckelwal.
Den ganzen Vormittag planschen wir im Wasser, dann essen wir eine Kleinigkeit an einer der vielen Imbissbuden am Strand.
Andrea, der in Bezug auf Essen konservativ ist, verschlingt zwei Hotdogs. Ich lasse mich von einem appetitlichen Teller verführen: Fisch mit buntem Salat. Nicht übel, denke ich, der Geschmack sehr exotisch und speziell. Ein authentisches Stück Mexiko. Ich schließe beim Kauen die Augen und sehe Gitarren, Somberos, Tequila, und sogar die Armut erscheint mir weniger bitter.
Was so ein Essen mit einem
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