Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
anstellt!
In Begleitung einer jungen Frau kommt ein Grüppchen Kinder an den Strand. Sie spielen in den Wellen, die Betreuerin lässt sie keinen Moment aus den Augen, ermahnt sie, wenn sie zu wild sind oder sich zu weit hinauswagen. Sie ruft jeden einzeln, hält die ausgelassene Horde mit ständigen Anweisungen zusammen. Sie bemerkt, dass Andrea sich den Kindern nähert, beobachtet ihn ein bisschen und erkennt, dass irgendetwas nicht stimmt. Sie versucht, seinen Blick aufzufangen, Andrea ignoriert sie. Er ist schon mittendrin, ragt einsam aus den Kindern heraus. Es beginnt eine Art Tanz: Alle machen ihn nach, springen im gleichen Moment auf und warten mit angewinkelten Ellbogen auf die nächste Welle, die sie durcheinanderwirbelt. Die junge Betreuerin wird nervös und versucht vergebens, die Kinder zur Ordnung zu rufen. Sie hat gemerkt, dass Andrea zu mir gehört, und schaut mich an, als wollte sie sagen: »Jetzt helfen Sie mir wenigstens.« Sie fühlt sich verantwortlich. Ich brülle Andrea zu, er solle nicht so übermütig sein.
Einer der kleineren Buben hat es Andrea besonders angetan, er nimmt ihn und wirft ihn in die Wellen. Ich weiß nicht, was zwischen ihnen abgeht, was sie verbindet, jedenfalls scheinen sie ohne Worte miteinander zu sprechen.
»Andrea, pass auf das Kind auf!«, aber schon tauchen sie wieder unter.
Die junge Frau fragt mich, was Andrea genau hat, und hört mir tief beeindruckt zu. Sie sagt, der liebe Gott schicke den Menschen Prüfungen.
»Sie meinen, Gott ist wie ein Ingenieur, der sein Material prüft? Um herauszufinden, ob wir verborgene Fehler oder Schwachstellen haben?«
Sie nickt.
Ich verstehe: Um sein Boot durch den Fluss des Lebens zu lenken, baut sich jeder von uns Ruder, so gut er kann, und diese Ruder sollten wir uns möglichst nicht gegenseitig auf den Kopf hauen.
Beim abendlichen Bummel überwältigt uns das hemmungslose Treiben auf den Straßen. Aus den Lokalen dröhnt der ohrenbetäubende Krach voll aufgedrehter Musik, unzählige Betrunkene sind unterwegs. Auch in Las Vegas war viel los, doch im Vergleich zu hier ging es dort zu wie im Kräuterladen eines Klosters. Reinstes Chaos umgibt uns, an jeder Rotlicht-Bar will man uns nötigen einzutreten: Wer weiß, ob das Gummiband zwischen mir und Andrea in diesem Höllenspektakel standhält. Am Eingang der Lokale werden in aller Deutlichkeit die Shows angepriesen. Bei manchen Plakaten zeigt Andrea sich interessiert, fasst die Bilder an, und sofort versucht irgendein Schlawiner, ihn zu ködern. Er hört zu, ich weiß nicht, was er versteht, aber die Mimik ist eindeutig. Ruhig und bestimmt sage ich nein. Dafür scheint es mir noch etwas früh zu sein, Andre.
In unserem Zimmer lege ich mich aufs Bett und studiere die Landkarte: Andre, wir könnten einen Abstecher nach Puerto Escondido machen. Das heißt »Versteckter Hafen«, aber wir machen ihn ausfindig. Sollen wir?
»Bisschen schon.«
Gastronomie
Wir werden Puerto Escondido schon ausfindig machen, aber es liegt nicht gleich um die Ecke. Auf engen, bunten Straßen fahren wir die Küstenlinie entlang. Andauernd gibt es Kontrollen wegen Rauschgifthandels, wir werden viermal gefilzt. Während sie das Auto mit Drogenhunden durchsuchen, bleiben die Maschinenpistolen die ganze Zeit im Anschlag. Die Polizisten sind bewaffnete Jugendliche, in deren Augen Angst flackert. Was für ein Unterschied zu den hünenhaften, arroganten und selbstsicheren US -amerikanischen Cops, die darauf trainiert sind, schon allein mit dem Blick Angst einzujagen.
Am frühen Nachmittag erreichen wir Puerto Escondido, nach acht Stunden Autofahrt. Wir stürmen zum Strand, Andrea hüpft glücklich in den Wellen. Auf einmal merke ich, dass mein Magen revoltiert: Habe ich was Falsches gegessen?
Der Fischteller am Strand von Acapulco fällt mir wieder ein. Der war’s. Ich spüre ein brutales Ziehen im Bauch und krümme mich vor Schmerz, gleich platzt mir der Kopf, sogar der Blick ist vernebelt. Ich kann gerade noch Andrea erkennen, der im Wasser planscht. Trotzdem versuche ich klar zu denken: Wir müssen eine Unterkunft finden, und davor muss Andrea noch etwas essen. Beim Gedanken an Essen dreht sich mir der Magen um, aber ich schaffe es, mit Andrea im Schlepptau eine Pizzeria aufzustöbern, natürlich eine neapolitanische, der Pizzabäcker, der uns empfängt, scheint ein sympathischer Gauner zu sein. Kaum sitzen wir am Tisch, habe ich das Gefühl, dass ich gleich zusammenbreche. Ah, der wunderbare
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