Wenn ich sterbe, stirbst auch du Kommissar Morry
schien sie plötzlich nicht mehr zu interessieren, ob das desinfizierte Mobiliar geschont wurde oder nicht.
„Was gibt es Neues?“ fragte sie, nachdem sie sich auf das Sofa gesetzt hatte.
Patrick bemerkte, daß sie ein schwarzes Kleid trug, und er fragte sich, ob das ein Zufall war oder eine bewußte Geste der Trauer.
„Ich habe ein paar Fragen wegen Mrs. Cumberlands Bruder“, begann er.
„Was ist mit ihm?“
„Das wollte ich von Ihnen hören.“
„Ich erwähnte doch schon gestern, daß ich kaum etwas von ihm weiß. Mrs. Cumberland sprach nur selten über ihn.“
„Denken Sie bitte einmal nach, Ihnen wird schon das eine oder andere einfallen. Er war das schwarze Schaf der Familie, nicht wahr?“
„Ja. Wenn ich die gelegentlichen Bemerkungen von Mrs. Cumberland recht verstanden habe, war er ein übler Schürzenjäger. Immer hinter den Frauen her. Einige Male müßte er wegen sittlicher Verfehlungen ins Gefängnis. Sie können sich gewiß vorstellen, was das für die gute Mrs. Cumberland für eine entsetzliche Belastung war! Ich glaube, sie war heilfroh, als die Familie endlich mit dem Kerl brach.“
„Haben Sie ihn jemals persönlich kennengelernt?“
„Nein.“
„Existiert ein Bild von ihm?“
„Nur ein Knabenfoto. Nützt Ihnen das etwas?“
Patrick schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht. Können Sie mir seine letzte Adresse geben?“
„Er lebte, soviel mir bekannt ist, in Brockford. Das ist ein kleines Nest unweit von Brighton.“
„Hm“, machte Patrick und faßte sich ans Kinn. Ihm fiel ein, daß die angebliche Mrs. Cumberland häufig nach Brighton gereist war. „Wie heißt dieser Mensch?“
„Oliver Marlowe.“
„Ist Ihnen etwas von seiner wirtschaftlichen Lage bekannt?“
„Die Marlowes, Mrs. Cumberlands Eltern, waren begüterte, aber keineswegs reiche Leute. Gehobener Mittelstand, würde ich sagen. Das bescheidene Vermögen, das sie hinterließen, fiel aber nicht dem Sohn, sondern Mrs. Cumberland zu.“
„Die Familie hat sich also nie mit Oliver versöhnt?“
„Nie. Soviel ich weiß, legte er gar keinen Wert darauf. Natürlich bekam er sein Pflichterbteil. Ich hörte, daß er es binnen kurzer Zeit mit leichten Mädchen durchgebracht haben soll.“
„Können Sie mir sonst noch etwas über ihn sagen?“
„Nein, Sir, das ist alles.“
„Wie haben Sie in dieser Nacht geschlafen?“ erkundigte sich Patrick plötzlich.
„Nicht besonders gut, Sir.“
„Ich vermute, die tragischen Vorkommnisse sind Ihnen wie ein Mühlrad im Kopf herumgegangen, nicht wahr? Sind. Sie dabei zu neuen Gedankenschlüssen gekommen?“
„Je mehr ich mich damit beschäftige, um so verwirrter werde ich. Seit heute morgen bin ich fest entschlossen, keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Ich halte es für besser, wenn ich ein wenig Abstand zu den Dingen gewinne.“
„Wir von Scotland Yard können uns das leider nicht leisten.“
„Wie geht es übrigens Ihrem Magen? Handelte es sich bei dem Unwohlsein tatsächlich um eine Vergiftung?“
„Leider, Miß Ipswich. Wenn ich noch einen Schluck von dem Zeug genommen hätte, säße ich heute nicht hier.“
„Das ist furchtbar, einfach furchtbar! Es bedeutet doch sicher, daß Mrs. Cumberlands Doppelgänger vergiftet wurde?“
„Warum sagen Sie Doppelgänger?“
„Ich weigere mich zu glauben, daß ich vier Jahrzehnte meines Lebens mit einem Mann verbracht habe. Für mich gibt es nur eine Erklärung: die echte Mrs. Cumberland ist vor zwei Jahren verschwunden, und dieser schreckliche Mann, den wir als Toten im Keller fanden, trat an ihre Stelle.“
„Wissen Sie“, sagte Patrick, „ich frage mich, ob es sich bei dem Mann nicht um unseren Mr. Marlowe handelt.“
„Sie sprechen von Mrs. Cumberlands Bruder?“
„Gewiß. Er ist sicher der einzige, dessen Gesichtsschnitt dem der Mrs. Cumberland gleicht. Mit Hilfe von Schminke und einer Perücke wäre es ihm wahrscheinlich nicht schwergefallen, das getreue Abbild der Schwester zu verkörpern.“
„Aber denken Sie doch an die Stimme! So etwas läßt sich doch nicht ohne weiteres nachahmen. Oder die Handschrift! Selbst wenn ich infolge meiner schlechten Augen nicht genau zu unterscheiden vermocht hätte, ob sich rein optisch etwas geändert hat, wäre es doch den Leuten von der Bank aufgefallen! Mrs. Cumberland mußte laufend Schecks unterschreiben! Mr. Hank ist ein sehr aufgeweckter junger Mann. Ihm wäre eine so einschneidende Veränderung gewiß nicht entgangen.“
„Ich nehme an, Sie
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