Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
Mr Rye einen Perversen nannte.«
Anya schüttelte den Kopf. »Nein, da sind Sie auf dem Holzweg. Er war aus beruflichen Gründen dort, weil er jemandem folgte. Es muss Garcia gewesen sein. Er hat das sicher nur gebrüllt, um den Verdacht von sich wegzulenken.«
»Ma’am, war irgendjemandem bekannt, wohin Sie unterwegs waren?«
Sie dachte darüber nach. Sie hatten keine Ahnung gehabt, wo Lance Alldridge hinwollte. »Nein.«
Was das bedeutete, war klar. Wie hätte Garcia wissen können, wo Ethan sich zu dem Zeitpunkt befand?
Sie konnte nicht akzeptieren, dass er nur überfallen worden war, weil er sich in der Nähe einer Schwulenbar aufgehalten hatte. Das kam Garcia viel zu gelegen, um ein reiner Zufall zu sein.
In dem Moment hob Anya den Kopf und sah Lyle Buffet langsam den Korridor heraufkommen.
»Meine Herren, dürfte ich mich kurz mit Dr. Crichton unterhalten?«
Ohne seine Personalien aufzunehmen standen sie auf und erkundigten sich, ob sie Anya etwas bringen könnten.
»Sie kann einen heißen Kaffee vertragen«, sagte der alte Herr. »Wenn Sie mich fragen, steht sie unter Schock.«
»Sehr wohl, Mr Buffet, wir werden tun, was wir können.« Sie gaben ihm die braune Tüte. »Es wird das Beste sein, wenn Sie das vorläufig nehmen.« Sie machten sich zur Teeküche auf. Sie kannten den Weg.
»Wie geht es Ihnen?« Er setzte sich zu ihr. »Man hat mich angerufen, weil ich als nächster Angehöriger Catchers eingetragen bin.«
Sie neigte den Kopf und fragte sich, ob sie recht gehört hatte.
»Ich hatte nie einen Sohn oder überhaupt Nachwuchs. Meine Frau konnte keine Kinder haben. Na ja, und Catcher war für mich wie der Sohn, den ich mir immer gewünscht habe. Ich werde ihm die beste medizinische Versorgung zukommen lassen, die man für Geld bekommen kann, das verspreche ich Ihnen.«
Eine Weile saßen sie schweigend da.
»Wo ist Ihre Frau?«, fragte Anya.
»Sie starb vor zehn Jahren an einem Schlaganfall. Die ganze Ehe über war sie eine Football-Witwe. Seither widme ich mich ganz den Bombers. Manchmal wünschte ich, ich hätte sie wissen lassen, wie sehr … Aber gut, man kann die Vergangenheit nicht ändern.«
»Sie muss sehr tolerant und geduldig gewesen sein.«
Der alte Herr lächelte ein wenig. »Mehr als jeder Mann es verdient. Irgendetwas sagt mir übrigens, sie beide hätten sich gut verstanden. Wissen Sie, bis Sie hier auftauchten, waren es nur meine Frau und Catcher, die mir je ins Gesicht sagten, was ich hören musste – statt was ich hören wollte.«
Eine Schwester kam auf den Flur und fragte, ob einer von beiden sich zu Ethan setzen wolle.
Anya betrachtete den alten Herrn mit frisch gewonnenem Respekt. »Gehen Sie.«
»Das tue ich gerne, aber sehen Sie zu, dass Sie sich etwas ausruhen. Ich rufe an, wenn er aufwacht oder sein Zustand sich verändert.« Er gab ihr Ethans Habseligkeiten. »Er würde bestimmt wollen, dass Sie darauf aufpassen.« Verblüfft half sie ihm auf. Die sonstige Stärke schien den Clubbesitzer in diesem Moment verlassen zu haben.
»Eins noch, Frau Doktor. Danke, dass Sie für ihn da waren. Ich weiß, wie wichtig Sie waren.«
Anya hoffte es, um Ethans willen.
Wie betäubt kehrte sie ins Hotel zurück und versuchte, die Ereignisse der vergangenen Stunden zu begreifen. Auf dem Zimmer duschte sie und zog sich die Yogahose an, falls sie in aller Eile noch einmal wegmusste.
Ethans Habseligkeiten lagen auf dem Bett. Sie klappte die Geldbörse auf, wog den Zimmerschlüssel in der Hand und versuchte zu verstehen, wie es möglich war, dass jemand ihm vor dem Club auflauerte. Man musste ihnen gefolgt sein.
Sie ging durch den Flur zu Ethans Zimmer und sperrte auf. Dort türmte sich ein Berg Arbeit. Auf dem Schreibtisch stand ein tragbarer Drucker. Auf jedem Stapel klebten Post-its mit einem Schlagwort oder Ortsnamen. Sie betrachtete den Stapel mit der Aufschrift Clark Garcia .
Er enthielt Kurzfassungen seiner bisherigen Karrierestationen, die Teams, für die er gespielt hatte, und sein Vorstrafenregister, was aber keineswegs überraschend war. Es konnte nicht leicht gewesen sein, seinen Analphabetismus auf der Highschool und am College zu verbergen, wenngleich sein Dasein als Footballer ihn von den üblichen akademischen Prüfungen befreite. Es gab fotokopierte Briefe, die seine mangelnde Anwesenheit beklagten, sowie Rechtfertigungen des Dekans und der Footballtrainer, in denen dargelegt wurde, weshalb die Kurse dennoch als bestanden gewertet werden sollten. In der Folge
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