Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
den Tresen ab.
Nach dem Kuchen und einer zweiten Tasse Kaffee ging Anya zur Kasse, um zu bezahlen. »Sie erinnern sich nicht zufällig an den Namen des Mädchens?«
»Gewiss doch, das war die kleine Patsy Fowler. Wohnt bis heute bei ihrer Mutter. Die kümmern sich jetzt umeinander.«
Anya klingelte an der Tür, und eine leicht gebückte Frau in den Sechzigern machte auf. Ihre Hände waren von Arthritis gezeichnet.
»Kann ich helfen?«
»Guten Tag, Mrs Fowler, wäre es wohl möglich, dass ich mit Patsy spreche?«
»Wer will das wissen?«
Alles andere als ein freundlicher Start. »Mein Name ist Anya. Darf ich hereinkommen?«
»Sie sind nicht aus der Gegend, oder?«
»Nein, aus New York«, sagte sie versuchsweise.
Das Gesicht der Frau entspannte sich. »Meine Tochter Lisa arbeitet da. Kennen Sie sie?«
»Sie hat mir von Patsy erzählt«, log Anya.
»Dann kommen Sie mal rein. Sie räumt gerade ihr Zimmer auf. Patsy, du hast Besuch«, rief sie und setzte sich auf die Couch. Der Fernseher im Zimmer lief sehr laut und wurde nicht leiser gestellt.
Eine pummelige Gestalt mit breitem Grinsen betrat den Raum.
»Ja, Mama?«
Patsys kariertes Hemd steckte ordentlich in der hoch sitzenden Jeans, das Haar trug sie in zwei Pferdeschwänzen. Ihre Gesichtszüge waren typisch für das Down-Syndrom.
»Hat Lisa erzählt, dass sie den Verstand einer Achtjährigen hat? Manchmal vergisst sie, das den Leuten zu sagen.«
Anya wurde flau im Magen. Janson, Keller und der junge Short konnten unmöglich einvernehmlichen Sex mit Patsy gehabt haben. Sie war geistig behindert und nicht in der Lage, ihr Einverständnis zu erklären. Zudem war sie mit ihrem kindlichen Gemüt unfähig, jemanden zum Sex irgendwohin zu locken.
»Hallo, Patsy, ich bin Anya.«
»Hallo. Magst du mein Zimmer sehen?«
Anya lächelte. »Sehr gerne.«
Dies war die Frau, die die drei Männer vergewaltigt hatten. Sie wäre nicht fähig gewesen, gegen sie auszusagen, aber deswegen hätten sie nicht ungestraft davonkommen dürfen.
Wenn Patsys Schwester Lisa etwas mit Short, einem der Täter, angefangen und einen Kampf provoziert hatte, dann war keineswegs auszuschließen, dass sie darauf gehofft hatte, dass er dabei verletzt würde.
Das Kinderzimmer war ganz in Rosa gehalten und die Wände voller Bilder von Einhörnern und Feen.
»Du kannst aber schön malen«, lobte Anya, ehe sie sich jedes Stofftier auf dem Regal namentlich vorstellen ließ.
Eine Pinnwand war voller Ansichtskarten aus New York. »Da wohnt meine große Schwester«, sagte Patsy stolz.
»Hast du denn auch ein Bild von ihr?«
Patsy langte unter das Kopfkissen. »Das ist ganz was Besonderes.« Sie legte den Finger an die Lippen. »Geheimbesonders.«
Das schmale Album enthielt Fotos zweier junger Mädchen, von denen das eine unverkennbar Patsy war.
Anya blätterte weiter und bewunderte die jüngere Schwester auf jedem Bild. Patsy kicherte und hielt sich beide Hände vor den Mund.
Zwei Aufnahmen auf der letzten Seite fielen aus dem Rahmen. Lisa hatte dunkles Haar, ihr Gesicht aber war vertraut. Heute war sie blond.
Anya blickte auf ein Foto Annabelle Reichmans.
44
Gleich nachdem sie die Fowlers verlassen hatte, suchte Anya sich ein Motel zum Übernachten. Sie rief bei Linda Gatby an und musste die Nachricht über Annabelle Reichman und die Vergewaltigung ihrer Schwester durch Janson, Keller und Short ebenso auf die Handy-Mailbox sprechen wie ihren Verdacht, dass Annabelle nicht nur die mysteriöse Frau bei Pete Janson war, sondern auch ihr Handy manipuliert hatte.
Am Abend darauf kehrte sie ins Krankenhaus zurück, wo Ethan gerade unter striktester Anweisung, jegliche Anstrengung zu vermeiden und noch mindestens drei Wochen Bettruhe zu halten, entlassen wurde. Das Nierenhämatom war zwar nicht größer geworden, konnte aber immer noch zu Komplikationen führen. Anstatt sich aber auszuruhen, bestand er darauf, sich vor dem morgigen Benefizspiel unbedingt mit Lance Alldridge zu unterhalten.
Von einem Krankenhaus-Münztelefon aus rief Anya noch einmal bei Linda Gatby an und hinterließ ihr eine weitere Nachricht. Anya war sich uneins, ob sie Ethan von Annabelle Reichman berichten sollte, angesichts seines schlechten Aussehens entschied sie aber, das einstweilen zurückzustellen. Er war so schon entschlossen genug, sich mit Alldridge zu treffen, trotz der verordneten Bettruhe. Jede zusätzliche Belastung konnte den Verlust einer Niere bedeuten, wenn nicht Schlimmeres. Anya versuchte immer
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