Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
noch, sich darüber klar zu werden, was genau Annabelles Rolle war. Und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie einen hartnäckigen Zweifel hegte, wem Ethans wahre Loyalität galt. Wenn sie doch nur mit Linda sprechen könnte.
Während Anyas kurzer Abwesenheit war Clark Garcia wegen des Überfalls auf Ethan festgenommen worden. Als die Polizei ihn befragen wollte, fand man Blut an seinen Schuhen und der Hose. Gegen die Zusage der Straffreiheit war er bereit, gegen die anderen vier Vergewaltiger Kirsten Byrnes auszusagen. Er behauptete, ein anonymer Anrufer hätte ihm mitgeteilt, wo Ethan sich den Abend über aufhielt.
Ethan zufolge hatte die Polizei vor, Alldridge und McKenzie nach dem Spiel festzunehmen. Danach gäbe es keine Gelegenheit mehr, sich unter vier Augen mit Alldridge zu unterhalten.
Trotz der ihm verordneten Bettruhe weigerte Ethan sich strikt, Anya allein mit Alldridge reden zu lassen. Sie kamen überein, Anya solle für den Fall, dass noch Überzeugungsarbeit nötig sei, am Morgen behaupten, Überwachungsfotos von Alldridge in der Tasche zu haben.
Ethan fuhr mit einer Limousine am Hyde Hotel vor und holte Anya ab. Gemeinsam fuhren sie zur Wohnung von Lance’ Freundin.
In einem seidenen Morgenmantel öffnete die Frau mit der kastanienbraunen Mähne die Tür ihres Apartments, die Augen rot geweint. Sie hob den Blick und sah Ethans geschwollenes Gesicht. »Was …?«
»Wir müssen unbedingt mit Lance sprechen«, drängte er, »vor dem Spiel.«
»Das ist kein guter Moment.«
Anya trat vor. »Wir wissen, dass er Kirsten nicht vergewaltigt hat.«
Ihr Gesichtsausdruck änderte sich. Ihre verquollenen Augen weiteten sich. »Gott sei Dank.« Sie blickte in den Flur, ehe sie die beiden hereinbat. »Ich kann ihn einfach nicht zur Vernunft bringen. In ein paar Stunden wird man ihn verhaften und das nur, weil er sich weigert …«
»Wir wissen Bescheid«, beruhigte Ethan sie. »Wir wollen ihn davon abhalten, einen furchtbaren Fehler zu begehen.« Ethan wirkte bleich und schwach, gewiss litt er beträchtliche Schmerzen – was er sich aber nicht anmerken ließ.
Dankend ergriff sie seine heile Hand und führte die beiden in ein Zimmer, das vom Flur abzweigte. Von der Tür aus sah man einen Notenständer und die Geige auf dem Koffer.
»Ich dringe einfach nicht zu ihm durch. Man könnte meinen, er hat einfach aufgegeben.«
Anya legte ihr die Hand auf die Schulter. »Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir allein mit ihm sprechen müssen. Wenn Sie nicht hören, was gesagt wird, kann kein Gericht der Welt Sie dazu zwingen, es zu wiederholen.«
Die Violinistin nickte und raffte den Morgenrock vor der Brust. »Bitte helfen Sie ihm. Er ist ein guter Mensch und wäre niemals zu so etwas imstande. Glauben Sie mir. Er ist ein Mann, bei dem man sich als Frau instinktiv sicher fühlt. Ich liebe ihn wie einen Bruder. Ich weiß, dass er unschuldig ist.«
Sie warteten, bis sie gegangen war. Im Zimmer saß Alldridge am Klavier und klimperte immer denselben Ton. Er wandte sich um, als er sie bemerkte, reagierte ansonsten aber kaum. Er trug Anzug und Krawatte, so als bereite er sich schon auf die bevorstehende Festnahme durch die Polizei vor.
Anya griff nach dem Umschlag in ihrer Tasche, und Ethan kam ohne Umschweife zur Sache.
»Du hast Kirsten nicht vergewaltigt, stimmt’s?«
Er ignorierte sie.
Ethan richtete sich auf. »Hör mir zu, Lance. Es ist nicht nötig, dass du dich anklagen lässt. Sie wurde von vier Männern vergewaltigt, und wir wissen, wer sie sind. Du gehörst nicht dazu. Ich bin überzeugt, du hast sie nur glauben lassen, du hättest sie vergewaltigt, nachdem sie fertig und aus dem Zimmer waren. Sag mir, dass ich mich irre.«
Das Klimpern hörte auf. Der Klavierhocker scharrte über das Parkett, als er sich erhob. »Raus. Sonst schmeiße ich euch raus. Alle beide.«
Vorsichtig trat Ethan zwischen den Hünen und Anya.
»Du kennst mich eine ganze Weile«, begann er wieder. »Ich bin hier, um dir zu helfen, auch wenn dir dazu die Einsicht fehlt. Ich habe dich im Vlada gesehen. Und das war nicht das erste Mal, dass du in dem Club warst. Wir haben Fotos, die beweisen, dass du das bist.« Er deutete auf den Umschlag in Anyas Hand.
Die riesigen Schultern sackten herab, und Lance sank auf den Hocker. »Wie viel willst du?«
Anya steckte den leeren Umschlag in die Tasche zurück. Es gab natürlich keine Fotos, aber das sollte Alldridge nicht erfahren.
Eine Uhr an der Wand
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