Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
Opfer sich gewehrt hatte. Viele hatten iPod-Stöpsel im Ohr. Andere quasselten permanent in ihre Handys, während einige wenige in Videospiele vertieft waren. Und das alles in einer fünfzehnminütigen Pause.
Aus Erfahrung und Forschung wusste man, dass derartige Gruppen zu zehn Prozent aus Anführern bestanden, die zu Normverletzungen anstifteten. Unfassbare achtzig Prozent zogen wie die Schafe mit. Damit blieben nur zehn Prozent, die über die Kraft oder Intelligenz verfügten, nicht mitzumachen. Das waren die Verweigerer aus Gewissensgründen.
Sie fragte sich, wer hier dominant genug war, um zum Unheilstifter zu werden, und wer die Kraft hatte, Widerstand zu leisten.
Anya wandte sich an Linda und erläuterte, dass sie als Nächstes die Beispielvideos zeigen und die Spieler nach ihrer Einschätzung befragen wolle. »Da kommt das nächste Seminar gerade wie gerufen. Wir zeigen die DVD mit den Vergewaltigungsszenarien und bekommen hoffentlich einen Einblick in die spezifische Reaktion der Gruppe.«
Anya hatte Linda vorab ein Exemplar der DVD und die Ergebnisse der veröffentlichten Studie zukommen lassen. Sie war froh, auf den wertvollen Beitrag der erfahrenen Staatsanwältin zurückgreifen zu können und ihre Einschätzung der Gruppe zu bekommen.
»Wir sollten nach jeder Spielsequenz sofort das Saallicht anschalten. So kannst du deine Fragen präzise auf ihre Reaktion abstimmen«, riet Linda.
»Ich denke, wir verstehen uns«, lächelte Anya. Je besser sie die Spieler sahen, desto mehr ließ sich herausfinden.
Zurück im Saal zeigte Anya den ersten Kurzfilm. Er zeigte eine Frau, die mit mehreren Männern in einer Bar scherzte und trank. Einem Mann im Speziellen machte sie schöne Augen, und der fragte, ob sie mit zu ihm kommen wolle. Es war deutlich zu sehen, dass die Anziehung beiderseitig war. Der Mann sagte, dass er die Wohnung mit einem Freund teile.
Die Frau hatte keine Einwände, und beide stiegen in ein Taxi. Auf der Rückbank wurden Küsse getauscht. In der Wohnung tranken und scherzten sie erst eine Zeit mit dem Mitbewohner, dann zogen sie sich in das Zimmer des Mannes zurück und schlossen die Tür hinter sich.
In der Stille hätte man nun die Geräusche eines Paares beim Sex hören sollen, aber das Publikum brach in Jubel und Grölen aus. Dann zeigte der Film, wie der Mann aus dem Schlafzimmer kam und der Mitbewohner in das abgedunkelte Zimmer ging.
Man hörte wiederum Menschen beim Geschlechtsverkehr, dann eine Art Kampf und das Schreien der Frau. Sie stürzte aus dem Zimmer, nur mit einem weiten T-Shirt bekleidet, und rannte zur Wohnungstür hinaus.
Anya hielt die DVD an und wandte sich an die Spieler. »Was war da gerade los?«
Anhaltendes Schweigen.
»Sie haben das Beste rausgeschnitten?«, rief einer.
Das Schweigen dauerte an, bis ihnen endlich dämmerte, dass die Frage ernst gemeint war.
Einer wagte sich vor. »Sie sind heim, hatten Sex, und dann ist sie plötzlich abgehauen. Weiß der Henker wieso. Vielleicht ist sie wieder nüchtern geworden und hat gesehen, wie die Kerle eigentlich ausschauen.«
Anya ließ den Blick im Saal schweifen, ob jemand das Problem erklären könne. Nichts.
»Sie hat ihm das T-Shirt geklaut?«, schlug der Nächste vor.
Auch wenn die Reaktion der Gruppe nicht wirklich überraschte, war sie angesichts des mutmaßlichen Vorfalls der letzten Nacht umso bestürzender.
»Fällt irgendjemandem eine plausible Begründung ein, wieso sie aus der Wohnung gerannt ist, als ob gerade etwas Schreckliches passiert sei?«
Die Frage stieß auf unbehagliches Schweigen.
»Und wenn ich Ihnen nun sage, dass sie auf direktem Weg zur Notaufnahme ging und die Vergewaltigung anzeigte?«
»Das ist doch Schwachsinn. Sie ist ja freiwillig mit ihm mit«, behauptete einer.
Am Ende des Saals meldete sich Linda zu Wort. »Ich bin Staatsanwältin für Sexualdelikte und habe oft mit Frauen in derartigen Situationen zu tun.« Linda kam durch den Mittelgang nach vorn. »Sie sagt aus, vom zweiten Mann vergewaltigt worden zu sein, da nur der Geschlechtsverkehr mit dem ersten Mann einvernehmlich erfolgte.«
»Unsinn.«
»Sie lügt.«
»Die Schlampe.«
Das Urteil über die Frau war offenbar einmütig. Ein dunkelhaariger Spieler hob die Hand, und Anya erteilte ihm mit einer Geste das Wort.
»Die hat ja wohl ziemlich deutlich sehen lassen, worauf sie Bock hat. Man braucht sich doch bloß anzuschauen, wie sie ihn angemacht hat, außerdem hat sie mit allen beiden geflirtet. Sie hat den
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