Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
zu sich?«
»Hat jemand gesehen, wie er umgekippt ist? Jedes noch so kleine Detail könnte hilfreich sein.«
Der Freund rang darum, die Fassung zu bewahren. »Er ging hier hinter, um ein paar Interviews zu geben, weil es hier ruhiger ist … Ich hab ein frisches Handtuch gebraucht, und da … da lag er auf dem Boden. Und rührte sich nicht.«
Mit einem Papiertuch hielt Ethan einen leeren Urinbecher. »Da ist weißes Pulver am Rand. Was immer er sich gespritzt hat, dürfte er hier drin aufgelöst haben. Ich tippe auf Heroin.«
»Gib ihm Narcan«, sagte einer der Sanitäter, und es wurde still. Der kräftige Körper blieb leblos.
Anya sah dem Rothaarigen in die Augen. »Das ist sehr wichtig. Hat Ihr Freund sich Drogen gespritzt?«
Sein Blick huschte zu Ethan und zurück, als bitte er um die Erlaubnis zu antworten. »Nein. Das heißt, er hat geschworen, dass er clean ist, seit seine Frau schwanger war. Letzten Monat ist sein Sohn zwei geworden.«
Ethan ließ etwas aus dem Spind in seinem Jackett verschwinden. Der Sanitäter verabreichte noch eine Narcanspritze, aber ohne Erfolg. Die Rettungssanitäter arbeiteten das gesamte Protokoll ab, dann erst transportierten sie den leblosen Körper ins Krankenhaus. Nur ein Wunder konnte diesen Mann noch ins Leben zurückholen. Dennoch würden die Notärzte es wohl mit einer Adrenalininjektion ins Herz und anderen verzweifelten Methoden versuchen, um den Angehörigen zumindest versichern zu können, dass man alles Menschenmögliche getan habe.
Anya dachte an das kleine Kind, das seinen Vater verlor, und an die Frau, die zur Witwe wurde. Sie fragte sich warum.
Um sechzehn Uhr fünfundvierzig erklärte man den achtundzwanzigjährigen Robert Keller für tot. Anya und Ethan harrten im Krankenhaus aus, bis sein Ableben bestätigt war, dann kehrten sie schweigend ins Hyde Hotel zurück.
Anya brachte Ethan eine Flasche Bier und ein Glas an den Tisch im hinteren Winkel der Bar. Den Whisky mit Eis brauchte sie selbst.
»Wie gut kannten Sie ihn?«
»Ich habe ihn vor mehreren Spielzeiten kennengelernt, als es Gerüchte wegen seines Drogenkonsums gab. Angeblich haben verschreibungspflichtige Schmerzmittel ihn süchtig gemacht, dann ist er auf härteren Stoff umgestiegen.« Ethan nahm einen Schluck aus der Flasche. »Sein alter Club hat ihn gefeuert, und es hieß, er habe geheiratet und die Finger von dem Stoff gelassen. Seit der letzten Spielzeit ist er bei den West Coast Sharks. Er hat praktisch nur noch von seinem Sohnemann geschwärmt.« Er nahm einen kräftigen Schluck Bier. »Aber einmal süchtig …«
»Vielleicht war er wirklich clean, bis irgendetwas den Rückfall auslöste.«
»Der Vortrag, den Sie heute früh gehalten haben, muss einen aber auch fertigmachen.«
Unabsichtlich rutschte Anya der Eiswürfel in den Mund, dann erst bemerkte sie das schiefe Grinsen.
»Danke für die Fünf-Sterne-Kritik!« Sie war froh über Ethans schwarzen Humor. Der Tag war ihr an die Nieren gegangen, diese Bemerkung löste die Anspannung etwas.
Allmählich füllte die Bar sich mit Grüppchen junger Frauen, von denen die meisten aufgestylt waren, als spielten sie in einem MTV -Video mit. Ohne knallenge Kleidchen, die kaum die Unterwäsche bedeckten, aufgeknöpfte Blusen, unter denen Rüschen- BH s hervorblitzten, grellrote Lippen und falsche Wimpern ging hier offenbar gar nichts. Sie standen herum wie bestellt und nicht abgeholt, und viele nippten an Champagner oder härteren Drinks. Keine sah älter als fünfundzwanzig aus, auch wenn man es nicht mit Sicherheit sagen konnte.
Ethan schien das gar nicht zu bemerken. »Wegen seiner Vergangenheit ließen die Sharks Keller wöchentlich an einem willkürlichen Tag testen. Das war eine Vertragsklausel. Soweit ich weiß, waren sämtliche Tests negativ, und niemand hat sich groß Gedanken gemacht.« Er strich mit dem Finger über den Flaschenrand. »Wahnsinn, da bringt er es so weit und macht sich dann wegen einem High alles kaputt.«
»Und das Gemeine ist, dass die Drogenabstinenz ihn anfälliger für eine Überdosis gemacht hat. Er vertrug die Droge nicht mehr. Deshalb sterben ja so viele innerhalb weniger Stunden nach der Haftentlassung. Ihre Körper können reines Heroin nicht mehr absorbieren, und eine einzige Dosis ist schon zu viel.«
Ein Kind veränderte alles im Leben und ließ auch das Unmögliche machbar erscheinen. Der Gedanke an Kellers vaterlosen Sohn verstärkte Anyas Sehnsucht nach ihrem eigenen Kind. Sie sah auf die Uhr. Ben
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