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Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch

Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch

Titel: Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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»EIgenART«.
    »Auf den ersten Blick gleicht ein Ei dem anderen«, trällerte Frau Hegemann eben vergnügt und ließ sich von unseren Muffelgesichtern nicht aus dem Konzept bringen. »Aber entscheidend ist doch unsere individuelle Sicht auf das Ei: Wo befindet es sich? Und wofür steht es? Welchen Aspekt seines Ei-Seins wollenwir in den Vordergrund stellen? Ist es empfindlich wie ein rohes Ei? Oder nahrhaft wie Rührei mit Speck? Zerbrechlich und vergänglich wie eine zarte Eierschale? Oder eine Keimzelle, der Anfang von etwas Neuem?« Sie strahlte uns aufmunternd an. »Los, Leute! Traut euch was zu! Legt eure ganze künstlerische Ausdruckskraft, ja, legt eure Seele in dieses Ei.«
    9.53 Uhr  Oookay. Dann lege ich jetzt also meine Seele in ein Ei. Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.
    10.30 Uhr  Ei, ei, ei. Wenn wir diese Werke einem Psychologen zeigen, bekommt unsere Schule garantiert endlich den längst beantragten Schulsozialarbeiter. Und einen neuen Amok-Notfallplan kriegen wir dann auch. Diese Ei-Bilder zeigen nämlich seelische Abgründe, von denen wir selbst nichts wussten.
    Mein Ei zum Beispiel liegt auf den ersten Blick friedlich in einem Nest, aber bei genauerem Hinsehen erkennt man daran eine Zündschnur, die bereits brennt. Damit spiele ich natürlich auf meine Situation zu Hause an. Ich bin in unserem Familiennest gerade ein hochexplosives Ei. Oder zumindest wäre ich es gern. Das ist meine künstlerische Message.
    Maikens Bild hat eine politische Aussage. Es zeigt einen großen Berg weißer Eier und sie hat dafür schon zwei Tuben Deckweiß verbraucht. In der rechten unteren Ecke ihres fast ganz weißen Bildes sieht man eine braune Feder und daneben ein paar leuchtend rote Blutstropfen, die optisch richtig rausknallen. Maiken sagt: Die Feder erinnert an das arme Huhn in seiner Legebatterie, das in seinem farblosen, sinnentleerten Leben nur einen einzigen Daseinszweck hatte: diesen Haufenweißer Eier zu legen. Und das Blut symbolisiert den grausamen Tod des Huhnes, als seine Eierlegekapazitäten erschöpft sind. Sie nennt ihr Bild » EI goismus«. Ich finde, sie hat dafür eine Ei-Ei-Eins verdient.

    Das Ei von Felix geht mir ans Herz. Es liegt klein und schutzlos auf einer grauschwarzen Straße kurz vor dem rabenschwarzen Profil eines überdimensionierten Autoreifens. Felix versucht offenbar, seinen Unfall künstlerisch zu verarbeiten. Er macht Witze darüber, aber man sieht ihm an, dass ihm eigentlich nicht zum Lachen zumute ist. Wenn er sich neues Wasser für seinen Pinsel holen muss, hinkt er zum Waschbecken und verzieht vor Schmerz sein Gesicht. Tom folgt ihm dann jedes Mal mit den Blicken und ich sehe ihm an, dass er darüber nachdenkt, ob er aufspringen und Wasser für Felix holen soll. Aber er tut es nicht.
    Danas Ei ist gerade von einer Tischkante gerollt, die man oben rechts im Bild sehen kann. Nun befindet es sich im freien Fall kurz vor dem Aufprall auf einen Steinboden. Ob ich doch mal mit Flocke reden soll? Ich glaube, ihr geht es echt nicht gut.
    Nur Toms Ei lässt auf ein einigermaßen ausgeglichenes Seelenleben schließen. Es kreist im Weltall zwischen lauter Planeten um die Sonne. Sein Bild heißt allerdings » EI nsamkeit«. Vielleicht vermisst er mich?
    11.00 Uhr  Ich zumindest VERMISSE ihn! Ich vermisse seine Hand, seinen Mund, seinen Herzschlag, seinen Atem, seine Stimme, und ich will meine Nase in die Stelle an seinem Hals bohren, die so gut riecht. Ich vermisse ihn so sehr, dass ich mich elend und krank fühle. Und das, obwohl er ganz nah ist.Er sitzt ja im selben Raum wie ich, ich kann sehen, was er tut: ER MALT EIN EI .
    Oh, Mann, diese blöden Eier sind mir so was von sch EI ßegal. Ich finde die Situation hier komplett absurd. Es kann doch eigentlich gar nicht sein, dass Tom und ich tatsächlich in diesem Raum sitzen und Eier malen. Wir müssten woanders sein und Dinge tun, die wirklich, objektiv betrachtet, viel wichtiger sind. Ich möchte ihn am liebsten an seiner Hand hier herausziehen und mit ihm weggehen und ich weiß, er käme mit, wenn ich das täte.
    WARUM TUE ICH ES NICHT ???
    Puh, weiteratmen. Einatmen, ausatmen.
    Tom sieht mich an. Ich sehe ihn an. Wir küssen uns mit Blicken. Das fühlt sich an, wie Vanille riecht.
    Aber da ist noch etwas, das ich fühle, wenn ich Tom ansehe.
    Plötzlich kommt er mir fremd vor. Ich kenne ihn und ich kenne ihn nicht. Seit wir zusammen sind, haben wir uns verändert. Vielleicht ist es auch so: Die Tatsache, dass wir

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