Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
wollte das hinter mir haben.
Aber er kam nicht.
20.45 Uhr Okay. Er hat gewonnen. Ich gehe jetzt runter und entschuldige mich bei ihm.
21.00 Uhr Tja. Geht nicht. Ich bin Luft für ihn. Schlechte Luft! Er spricht nicht mit mir, er sieht mich nicht an, er hört mir nicht zu. Paps ignoriert mich komplett, aber er wirkt dabei so vorwurfsvoll und aggressiv, dass man eigentlich eher von »aggnorieren« sprechen sollte.
21.05 Uhr Erst war ich ratlos. Ich stand vor ihm und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Aber dann fand ich es plötzlich sogar angenehm, dass es auf dieser Welt wenigstens einen Menschen gab, der kein Bedürfnis verspürte, mit mir zu sprechen. Was das angeht, war er nämlich heute der Einzige. Es war ein extrem wortreicher Tag und ich wollte einfach nur noch meine Ruhe haben.
Ich wünschte Paps daher freundlich eine gute Nacht und ging auf mein Zimmer.
21.30 Uhr Puh, da sitze ich nun und mein Leben kommt mir vor wie ein verfilztes Wollknäuel aus lauter Problemfäden. Liegt es daran, dass ich übermüdet bin? Dramatisiere ich mal wieder alles? Oder habe ich mich wirklich in meinem Alltag verheddert?
22.05 Uhr Ich sollte schlafen, aber ich kann nicht. Meine Gedanken fahren Karussell. Manchmal denke ich: Wir sollten bei diesem bescheuerten Spendenlauf einfach ein paar Runden rennen. Dann hätte ich jetzt Zeit und Ruhe für wirklich wichtige Dinge wie mit Tom zusammen zu sein. Aber dann denke ich wieder: Es gehört doch zu den wichtigen Dingen, dass wir uns gegen den Maki wehren. Wir sind doch nicht seine Marionetten. Wir müssen uns endlich mal fragen, was wir da in der Schule eigentlich machen! Wir rennen im Kreis herum, wenn es uns jemand befiehlt, wir sammeln Geld, wenn jemand welches braucht, und wir malen Eier, wenn jemand das Malen von Eiern kreativ findet. Aber wir schalten nie unseren eigenen Kopf ein. Und darauf sollte uns die Schule doch eigentlich vorbereiten, auf eigenes Denken, meine ich.
Ach, ich weiß gerade überhaupt nicht mehr, was wichtig ist und was nicht. Und ich bin sooo müde.
Zum Glück habe ich Tom.
22.17 Uhr Oder?
22.20 Uhr Iiih, da ist so eine fiese kleine Stimme in meinem Kopf, die leise, aber durchdringend sagt: Freu dich mal nicht zu früh, Lilia Kirsch. Wer weiß, wie lange du Tom noch hast. Bist du sicher, dass die Sache zwischen ihm und dir gerade gut läuft? Erinnere dich, wie das mit Jakob war. Erst warst du im siebten Himmel und nach drei Tagen war alles vorbei!
Und ich kann diese Stimme nicht zum Schweigen bringen, denn es gibt Anzeichen dafür, dass sie recht haben könnte. Mal ehrlich, im Vergleich zur letzten Woche, als wir noch auf der Inselwaren, ist von unserer ersten Verliebtheit inzwischen schon ganz schön der Lack ab. Heute früh zum Beispiel, als Tom mich nicht mal begrüßt hat – das wäre ihm letzte Woche nicht passiert. Und dann heute Nachmittag. Hätten wir es schaffen können, allein zu sein, wenn wir es wirklich gewollt hätten? Aber wir wollten doch! Ich zumindest wollte. Und ich hatte das Gefühl, er wollte auch. Da war doch schon heute Mittag etwas in seinen Augen. Nein, Tom wollte eindeutig mit mir allein sein!
22.45 Uhr Ich kann sowieso nicht schlafen, dann kann ich auch alles aufschreiben und dabei meine Gedanken ordnen. Danach weiß ich vielleicht, was ich von diesem Nachmittag halten soll.
Als ich nach der sechsten Stunde zu Tom sagte, ich würde trotz Hausarrest nicht nach Hause gehen, sah er mich so erstaunt an, dass ich schon mit einer Diskussion rechnete. Tom hatte ja gemeint, dass wir Paps nicht unnötig reizen sollten. Aber dann dachte er nach, nickte, nahm meine Hand, ging voraus und zog mich hinter sich her. Er lief immer schneller und zog mich an allen vorbei, die mit ihm über den Marathon reden wollten, vorbei an unseren Freunden, die uns noch zuriefen, die Tanzstunde heute Nachmittag ja nicht zu verpassen, vorbei an Vicky, die Tom etwas fragte, das er nicht hörte oder nicht hören wollte, vorbei an Herrn Makel, der uns mit giftigen Blicken beschoss. Tom blieb erst stehen, als wir draußen auf dem Pausenhof waren.
Dort stoppte er so plötzlich, dass ich stolperte und hingefallen wäre, wenn er mich nicht mit einem Arm gerade noch aufgefangen hätte.
Da standen wir uns also gegenüber und sahen uns an. Und inseinen Augen lag etwas, das ganz wichtig und dringend war, etwas, das ich aber nicht so richtig deuten konnte.
»Tom?«, fragte ich und wusste plötzlich nicht mehr, was ich
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