Wenn nicht jetzt, wann dann?
zweimal geschieden, die letzte Scheidung lag bereits viele Jahre zurück. Vielleicht war sie seitdem niemandem mehr begegnet, mit dem sie sich eine weitere Ehe hätte vorstellen können. Vielleicht war es ihr aber auch lieber, davon zu träumen, als noch einmal zu erleben, dass sich ihre Träume nicht erfüllten. Annemie war sich da nicht sicher.
Doch was Annemie nun zu erzählen hatte, war noch viel besser als ein Roman, befand Waltraud, als Annemie mit ihrem Bericht der letzten Tage fertig war. Die alte Frau Schneider, die wie immer ihre Cognacbohnen suchte und nicht fand, weil sie dann einen Vorwand hatte, länger im Laden zu sein und länger fern ihrer einsamen Wohnung zu bleiben, stimmte mit einem vehementen Nicken zu, das ihre silbernen Löckchen wippen ließ. Sie hatte extra ihr Hörgerät lauter gestellt, um bloß nichts von dieser spannenden Erzählung zu verpassen.
»Du hast den Juwelier Winter beraten, und der hat dich gebeten, zu seinem Bruder zu gehen, und der hat dir auch noch eine Hortensie geschenkt?«
Waltraud war fassungslos, und Annemie nickte.
»Also, wenn ich jetzt nicht wüsste, dass du so etwas niemals erfinden würdest, würde ich dir kein Wort glauben!«
Die Kasse schnappte auf, und Waltraud druckte den Bon aus.
»Hier, macht 18 , 75 . Am Ende schenkt er dir noch Schmuck. Wart’s mal ab. Der schenkt dir noch Schmuck. Winter-Schmuck. Den wollen wir dann aber vorgeführt bekommen, oder, Frau Schneider?«
Frau Schneider kicherte.
»Jawohl, das wollen wir!«
Annemie schüttelte lachend den Kopf, bezahlte und packte die Lebensmittel in den kleinen Stoffbeutel, den sie stets in der Handtasche mit sich trug.
»Fortsetzung folgt!«, rief Annemie im Gehen und dachte, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte in diesen drei Tagen. Sie hatte mit einem Mal richtig viel zu erzählen.
Durch das geöffnete Küchenfenster hörte Annemie im Hinterhof die Amseln zum Abend singen, und am liebsten hätte sie mitgesungen, während sie sich alle Zutaten zurechtlegte. Das gehörte zu ihrem Backritual. Sie liebte diese Vorbereitungen und tat alle Handgriffe mit Bedacht. Erst wischte sie ihre Arbeitsplatte sauber ab und stellte den Backofen an, damit er in Ruhe vorheizen konnte. Sie band eine Schürze um, butterte die Backform, stellte ihre alte Küchenwaage vor sich auf und begann dann, alle Zutaten genau abzuwiegen. In einem Topf mit kochendem Wasser löste sie als Erstes einen ganzen Berg Kakao zusammen mit goldenem, zähflüssigem Melassesirup auf und freute sich an dem süßen Duft, der ihr aus dem Topf in die Nase stieg. Während diese Mischung abkühlte, hackte sie eine Tafel Schokolade in grobe Stücke und stellte sie beiseite. Als sie die Butter schaumig geschlagen hatte, schaute sie versonnen zu, wie sich der hereinrieselnde Zucker langsam in den Strudeln auflöste, die ihre Rührquirle in der Masse immer wieder neu formten. Das Mehl arbeitete sie erst mit einer Gabel und dann mit den Fingerspitzen nach und nach in die Buttermasse hinein, bis lauter lustige, kleine Teigerbsen in der Rührschüssel umherkullerten.
Annemie liebte es, den Teig anzufassen und zu fühlen, wie er sich entwickelte. Liz hatte ihr einmal vorgeschlagen, sich doch eine professionelle Rührmaschine zuzulegen, die den Teig automatisch für sie rührte, und ihr dann vorgerechnet, wie viel Zeit sie damit sparen würde. Annemie hatte daraufhin nur lächelnd geantwortet, Zeit habe sie genügend, die bräuchte sie nicht zu sparen, aber zu fühlen, wie ein Teig sich entwickelte, matt wurde oder zu glänzen begann, davon könne sie nie genug bekommen.
»Ach, schrecklich«, hatte Liz geseufzt. »Das würde ich gar nicht aushalten, dass meine Hände so kleben, und dann muss man sie abwaschen und dann kleben sie gleich wieder, o nein, das ist nichts für mich!«
Und Annemie hatte sich gefreut, dass Liz sie dafür bewunderte, dass es ihr gar nichts ausmachte, teigige Hände zu bekommen.
Nachdem sie die aufgelöste Schokomasse und die Eier mit der krümeligen Buttermischung in ihrer Schüssel verquirlt hatte, schaute sie gebannt zu, wie die kleinen Teigerbsen sich in der flüssigen Schokomasse auflösten und alles zu einem weichen, geschmeidig glänzenden Teig wurde, in den sie noch die gehackten Schokoladenbrocken hob.
»Gott walte dies«, flüsterte sie leise, während sie den Kuchen in den Ofen schob. Das hatte sie von dem Bäcker übernommen, der kein Brot, kein Blech und keinen Kuchen in den Ofen geschoben hatte, ohne das
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