Wenn nicht jetzt, wann dann?
geboren wurde.«
»Oha. Du hast ihn vom Thron geschubst. Warst Mamas Liebling und dann auch noch am Geschäft interessiert, während er lieber mit den Blumen gesprochen hat?«
Claus Winter musste schmunzeln.
»Also, ganz falsch liegst du nicht. Ich hatte die typischen Vorteile eines Zweitgeborenen, und ich hatte schon immer mehr Interesse am Geschäft. Er hatte nicht viel übrig für Schmuck. Da war er ein bisschen wie du. Sagen wir mal, es bestand keine Gefahr, dass er Gold und Diamanten überbewerten würde. Aber wir hatten deshalb kein Problem. Nein, wir waren Kumpels. Er war mein großer Bruder, er war mein Idol, und ich habe ihn einfach verehrt. Und ihm hat es nichts ausgemacht, dass ich in der Schule besser war oder dass mich der Laden mehr interessiert hat. Er war schon immer sehr eigen. Sehr absolut und sicher und speziell in allem, was er tat. Er war ein toller Typ. Er hatte immer viel mehr Persönlichkeit und Charme als ich. Kam gut an bei den Mädchen. Selbst die Lehrer, die ihm Fünfen gaben, mochten ihn.«
»Und was ist dann passiert?« Nina sah ihn fragend an.
»Dann hat er sich verliebt.«
»Und?« Nina wartete, doch es dauerte eine Weile, bis ihr Vater weitersprach.
»Er hat sich verliebt, hoffnungslos, das hat er damals selbst so gesagt. ›Claus, ich bin hoffnungslos verliebt. Sie ist es. Sie oder keine. Jetzt weiß ich, was ich will im Leben. Bei ihr sein. Bei ihr sein oder mich in Luft auflösen und aufhören zu existieren.‹«
Nina schaute ihren Vater an.
»Wow«, war zunächst alles, was sie herausbrachte. »Er hat sie geliebt.«
»Ja.« Claus Winter nickte. »Er hat sie geliebt. Vielleicht auf eine sehr dramatische Weise. Vielleicht war er zu besitzergreifend. Vielleicht auch nicht. Vielleicht war sie für ihn wirklich die Richtige, nur für sie war er nicht der Richtige.«
»Sie hat ihn verlassen?«
»Ja, sie hat ihn verlassen.«
»Und?«
»Und was?«
»Warum hat sie ihn verlassen?«
»Sie hat sich in einen anderen verliebt.«
»O Gott. Der Arme. Und dann?«
»Dann hat er gelitten.«
»Und konntest du ihm helfen?«
»Nein. Niemand konnte ihm helfen. Nur sie hätte es gekonnt, aber sie hatte sich gegen ihn entschieden. Er hat unsere Eltern gebeten, ihm die Gärtnerei als vorgezogenes Erbe zu kaufen, und dann hat er sich dort verkrochen. Ich glaube, am Anfang sind ihm alle Blumen eingegangen, weil er sie mit Tränen gegossen hat, aber dann hat er es ganz gut hinbekommen. Er hat tolle Pflanzen gehabt, er war bekannt. Die Blumen wurden seine Liebe.«
»Und dann ist er einfach da geblieben und nie wieder herausgekommen? Hat er keine neue Frau kennengelernt?«
»Ich glaube, er hat viele Frauen kennengelernt, daran wird es nicht gelegen haben. Er sah blendend aus, die traurigen Augen haben da sogar geholfen, und dann noch ein Mann, der Blumen dazu überreden kann, noch schöner zu blühen! Ich glaube nicht, dass die Damenwelt ihm abgeneigt war. Es war eher so, dass er der Damenwelt abgeneigt war. Und zwar total. Er hat sie geliebt, er stand einfach zu seinem Wort, genau, wie er gesagt hatte: ›Jetzt weiß ich, was ich will im Leben. Bei ihr sein oder mich in Luft auflösen und aufhören zu existieren.‹ Das Sich-in-Luft-Auflösen hat nicht ganz geklappt, aber er hat auf eine Weise aufgehört zu existieren.«
»Und sie? Weißt du, was aus ihr geworden ist?«
»Ja.«
»Ja?« Nina sah ihn erwartungsvoll an.
»Sie hat den anderen Mann geheiratet, der sie wahnsinnig geliebt hat. Auch für ihn war sie die Richtige, es hätte keine andere mehr geben können für ihn. Gab es auch nicht. Sie waren glücklich miteinander. Ein paar Jahre lang waren sie sehr glücklich.«
Claus Winter verstummte.
»Und warum nur ein paar Jahre lang?«
Ihr Vater antwortete nicht sofort, und mit einem Mal kroch Nina eine seltsame Ahnung den Rücken hinauf. Plötzlich wollte sie die Antwort nicht mehr hören.
»Sie bekamen eine kleine Tochter, und dann starb sie bei einem Unfall. Völlig unerwartet. Und viel zu früh. Zu früh für alle. Für ihren Mann, für ihre kleine Nina, und auch zu früh für Hannes.«
Er starrte vor sich auf den leeren Teller, als könnte er darin einen Trost finden. Nina schaute in sein abgewandtes Gesicht und versuchte, das Gefühl, das ihr den Hals zuzuschnüren drohte, unter Kontrolle zu bringen.
»Hannes hat sie zweimal verloren. Erst an mich. Dann an den Tod.«
Claus Winter schwieg eine Weile, bevor er weitersprach.
»Dann hat er versucht, sich umzubringen, und
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