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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Titel: Wenn nicht jetzt, wann dann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Ruppert
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Rot?«
    Frau Schmidt überlegte einen Moment, dann nickte sie zustimmend.
    »Und rote Rosen auf den Tischen sind sicher auch sehr schön.«
    »Möchten Sie denn, dass alles klassisch in Weiß eingedeckt wird, oder sollen es zu den Rosen auch rote Servietten sein?«, fragte Annemie.
    »Weiß. Nein, Rot. Oder?«
    Die Braut zögerte einen Moment, und Annemie machte einen weiteren Vorschlag.
    »Was halten Sie davon, wenn man beides kombiniert? Rot und Weiß zusammen macht immer einen sehr freundlichen, frischen Eindruck.«
    »Gute Idee.«
    Die beiden plauderten noch eine halbe Stunde lang über Sitzordnungen und Brautkleider und dass sie die weißen Schuhe unbedingt früh genug kaufen musste, um sie zu Hause schon einmal einzulaufen, damit sie keine Blasen bekam, die ihr den schönsten Tag im Leben verderben würden. Als die gehetzte Braut den Laden verließ, lächelte Annemie sie mit vor Aufregung roten Wangen an.
    »Sehen Sie, Kindchen, jetzt haben Sie richtig viel Zeit gespart, denn jetzt wissen wir, was wir alles für Sie tun können. Ihr Hochzeitstag, das ist doch Ihr Tag!«
    Und an diesem Tag würde zum Glück auch Liz wieder da sein und sich um alles kümmern, dachte Annemie. Und wenn sie dann die Hochzeitstorte für die tt-Schmitts backen würde, hätte sie ein Bild der Braut vor sich. Das war ein schöner Gedanke, zu wissen, für wen sie die Torte machen würde. Sie würde viele rote Rosen auf weißen Zuckerguss setzen, jede ein wenig anders als ihre Nachbarblüte, damit Frau Schmitt alles in Ruhe würde anschauen müssen, bevor sie die Torte anschnitt.

    Hannes Winter war schon den ganzen Tag ruhelos. Seit er in die ungewöhnlich blauen Augen dieser Frau geschaut hatte, war er immer wieder in das Gewächshaus mit den blauen Hortensien gegangen und hatte unzufrieden an ihnen herumgezupft. Er hatte vergessen, wie blau Augen sein konnten. Er hatte vergessen, wie es war, in solch blaue Augen zu schauen. Und er hatte vergessen, dass selbst das tiefste leuchtende Blau seiner Blumen das Strahlen von blauen Augen nicht einmal annähernd nachahmen konnte. Damals war er im Blau ihrer Augen versunken. Doch heute war ihm bewusst geworden, dass das Blau seiner Hortensien weniger ihren Augen glich als vielmehr dem einzigen Blau, an das er sich überhaupt noch erinnern konnte. Bloße Bruchstücke eines Gefühls, das ihn einmal ganz und gar erfüllt hatte. Es war ein armseliger Ersatz. Heute war ihm bewusst geworden, dass seine Erinnerung schon sehr verblichen war und selbst dem Vergleich mit den Augen einer Fremden nicht mehr standhielt. Hannes Winter war erschüttert.
    Es war alles so lange her. Er hatte sich eingerichtet in seiner Gärtnerei, mit seinen Pflanzen, denen er alles mögliche Gute angedeihen ließ, was er ihr nicht mehr angedeihen lassen konnte. Er hatte sich von den Menschen abgewandt und den Blumen zugewandt und war für alle, die ihn kannten, verstummt. Was für einen Sinn hatten Worte, wenn er sie ihr nicht mehr sagen konnte? Doch mit den Pflanzen kamen ganz neue Worte. Worte, die er nie vorher ausgesprochen hatte. Worte, die sie nicht gekannt hatte, weil er sie ihr nie gesagt hatte. Die Pflanzen hatten ihm eine neue Sprache beigebracht, die er sprechen lernte, weil sie eine Welt beschrieben, die sie nie gesehen hatte. Pikieren, Herbstschnitt, Durchlässigkeit. Hannes war ein guter Gärtner, er spürte, was eine Pflanze zum Wachsen brauchte. Weil er nichts mehr zu sagen hatte, weil ihn nichts mehr trieb, hörte er ihnen in aller Ruhe zu. Und er hörte, was einer Pflanze guttat, was sie Blüten treiben ließ und wann sie Ruhe brauchte. Meist musste er eine Pflanze nur ansehen, und schon schien sie es ihm zuzuraunen. Die Gärtnerei hatte ihn gerettet und ihm dabei geholfen, sein unglückliches Leben in eine bunt blühende Üppigkeit zu verwandeln, die er einfach nicht mehr verließ. Bis heute Morgen hatte er geglaubt, er hätte sein Paradies damals zwar verloren, aber in seiner Gärtnerei ein anderes gefunden. Doch heute Morgen hatte er erkannt, dass ein Paradies nicht nur aus einem Garten besteht, sondern dass es darin immer auch Menschen gibt. Nicht umsonst hatte Gott Adam eine Eva geschaffen.
    Sein Garten war einsam. Er teilte ihn mit Vögeln und Eichhörnchen, leider auch mit Schnecken, Wühlmäusen und Blattläusen, aber er teilte ihn nicht mit einem Menschen.
    Immer wieder ging er durch sein Blau, das ihm heute das Glücksgefühl verweigerte, überall stieß er auf Unzulänglichkeiten, die er gar nicht

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