Wenn nicht jetzt, wann dann?
Schwiegersohn ist Vegetarier. Er isst kein Fleisch.«
So, nun war es heraus.
»Ja und?«
Beide schauten sie erwartungsvoll an und warteten, dass noch etwas kam.
»Ja, nichts. Kein und. Das ist es.«
»Das ist alles?«
»Ja«, Annemie nickte bekräftigend. »Das macht Ihrer Tochter große Sorgen. Dass Sie beide als Ihre Eltern bei der Hochzeit mit großem Stolz das Beste aus Ihrer Metzgerei auftischen werden und Ihr Schwiegersohn nichts davon anrühren wird.«
»Na, da entgeht ihm aber was!« Herr Schulze wiegte bedauernd den Kopf. »Aber man kann ihn ja nicht zu seinem Glück zwingen, nicht wahr?«
Sobald es um das Thema Metzgerei ging, taute Herr Schulze richtig auf.
»Ja, da haben Sie recht.« Annemie lächelte ihn an. »Ihre Tochter hat Angst, dass Sie deshalb gekränkt sein werden.«
»Ach, er macht das ja nicht mit Absicht. Also nicht mit der Absicht, irgendjemanden zu ärgern. Er mag es halt nicht. Hauptsache, er mag Nicole, oder, Gerhard?«
Frau Schulze sah zu ihrem Mann, der zustimmend nickte.
»Wissen Sie, ich habe mir auch nie so viel aus Fleisch gemacht, als ich meinen Mann kennengelernt habe. Na ja, das habe ich mir dann eben so angewöhnt. Aber in den Schlachthof konnte ich noch nie. Ich darf das Tier nicht sehen, wissen Sie, sonst vergeht mir der Appetit. Nur die Wurst, die mag ich dann!«
Ihr Mann sah sie mit gerunzelter Stirn fragend an. Sie bemerkte seinen Blick und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ach Schatz, das habe ich dir nie gesagt, weil ich nicht wollte, dass du dir Sorgen machst, weil ich ja nun mal immer am Fleisch stehe. Aber das macht mir nichts mehr. Ich kann nur deshalb den jungen Mann ein wenig verstehen.«
»Jetzt hat Nicole natürlich Angst, dass Ihr zukünftiger Mann bei seiner eigenen Hochzeit nichts von dem zu essen bekommt, was er gerne isst. Es soll ja auch für ihn ein Festtag sein.«
»Also, wenn der Junge lieber Gemüse isst, dann soll er das doch bekommen. Ich werde ihm das persönlich kochen, wenn es sein muss. Was isst man denn da so als Vegetarier? Nur Gemüse? Würde ihm denn ein Gemüseteller gefallen?«
»Hm, vielleicht auch Eier und Käse, vielleicht isst er ja auch Fisch? Manche Vegetarier essen ab und zu Fisch. Das fragen Sie ihn doch am besten einmal selbst. Das wird ihn freuen, wenn es Sie interessiert, und bestimmt hat auch Nicole noch einige gute Tipps.«
»Aber die Spanferkel gibt es trotzdem.« Herr Schulze musste sich noch einmal rückversichern, dass nicht die ganze Hochzeitsgesellschaft Gemüse würde essen müssen, doch auch diese Sorge konnte Annemie ihm nehmen. Und als das Ehepaar den Laden verließ, strahlte Annemie glücklich darüber, dass sie ihre erste Hochzeitskrise gelöst hatte. Und es war gar nicht so schwer gewesen.
Sie spülte die Kaffeetassen und legte ein paar frische Kekse auf den Teller. Gleich wollte Frau Hartmann vorbeikommen, die Mutter, die so groß feiern wollte. Ihr würde sie klarmachen müssen, dass die Hochzeit ihrer Tochter die Hochzeit ihrer Tochter war und nicht ihre eigene. Hoffentlich war die Mutter auch bereit, das anzunehmen. Die Tochter hatte schon recht verzweifelt geklungen, aber vom Naturell her auch bockig. So bockig, dass sie notfalls auch ohne ihre Mutter heiraten würde. Wenn sie diese Hartnäckigkeit von der Mutter hatte, dann gute Nacht.
Als Frau Hartmann hereinrauschte, und sie rauschte tatsächlich mit einer einzigen ausladenden Bewegung in den Laden und brachte mit dem ihr folgenden Windstoß einen ganzen Stapel Papier in Bewegung, sank Annemie sofort der Mut.
»Hartmann, guten Tag, und Sie sind …?«
Annemie schluckte und fühlte sich sofort wie eine kleine, dumme Magd, die hier eigentlich gar nichts verloren hatte.
»Hummel, guten Tag, ich vertrete Frau Baumgarten, während sie krank ist. Wir hatten, äh, telefoniert. Ähm, Frau Hartmann, wollen Sie sich nicht …«
Annemie wies auf die Stühle, die Frau Hartmann mit einem Blick musterte, unter dem alles, was eben noch schön und liebevoll gewirkt hatte, in sich einzustürzen drohte und mit einem Mal billig und geschmacklos aussah. Annemie blickte sogar kurz an sich herunter, ob sie nicht plötzlich einen riesigen Fleck auf ihrer Bluse hatte. Irgendwie fühlte sich in Anwesenheit von Frau Hartmann alles falsch an. Sie kam sich plötzlich selbst vor wie ein einziger großer Fleck.
»Wie Sie meinen.«
Frau Hartmann nahm etwas steif Platz, griff gleich nach einer auf dem Tisch stehenden Tasse, um auf deren Unterseite
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