Wenn nicht jetzt, wann dann?
lief.
»Schrecklich!«, stieß Annemie hervor und erzählte ihm, wie furchtbar dumm sie sich verhielt. »Eben habe ich auf einen Anrufbeantworter gesprochen, und ich glaube, ich habe die falsche Nachricht hinterlassen, und dann habe ich auch noch vor Schreck ›O Gott‹ gesagt – auf den Anrufbeantworter! Und ›Wie kann ich das wieder löschen?‹ habe ich auch noch gesagt.«
Er beruhigte sie und sagte, das mache gar nichts. Das ginge den meisten Menschen so, dass sie manchmal Nachrichten hinterließen, die sie am liebsten wieder löschen würden.
»Schreiben Sie sich doch Stichwörter auf, wenn es für Sie schwierig ist, frei zu sprechen«, riet er ihr. »Das mache ich auch, wenn ich ein Gespräch habe, das ich nicht so einfach finde. Und soll ich Ihnen mal ein Geheimnis verraten?«
Annemie sah ihn gespannt an.
»Ich übe das manchmal.«
»Wie? Was üben Sie?« Annemie runzelte die Stirn.
»Na sprechen. Ich übe sprechen. Ich übe das Telefonat. Ich sage es mir auf, so wie ich es mir vorstelle. Und dann«, er hielt plötzlich inne. »Sie halten mich jetzt für verrückt. Sie denken, ich habe sie nicht mehr alle.«
»Nein!«, rief sie aus und sah ihn mit großen Augen an. »Überhaupt nicht, sprechen Sie weiter! Das müssen Sie mir erklären! Sie üben das. Und wenn es ganz anders läuft, als Sie sich das gedacht haben?«
»Also, ich probiere ganz viele Versionen durch. Und meistens ist die dabei, die ich dann brauche. Und wenn nicht, dann kommt es zumindest nicht mehr ganz so überraschend, weil ich das Gespräch schon so oft geführt habe, dass es so etwas wie eine interessante neue Variante ist.«
»Aha.« Annemie sah ihn begeistert an. »Ich mache das eigentlich auch, aber genau andersherum. Wissen Sie, ich rede mir einen Unsinn zusammen und hinterher überlege ich mir, was ich alles hätte anders machen können. Das ist eine sehr gute Idee, Herr Frank. Das werde ich einmal probieren. Vielen Dank. Wollen Sie vielleicht eine Tasse Kaffee?«
»Ich habe insgeheim auf so etwas gehofft, ich habe nämlich keinen Kaffee mehr im Büro«, lächelte er und bat sie zu erzählen, was anstand. »Sie können mit mir üben!«
»O nein, das wäre mir zu peinlich!«, rief Annemie aus, »aber ich erzähle Ihnen, was ich alles machen muss, das hilft mir dann schon.«
Sie begann, ihm von der Metzgerfamilie zu erzählen. Das Metzgerehepaar Schulze, das ihrer Tochter Nicole mit ihrem Vegetarierbräutigam Fleischplatten vorsetzen wollte. Annemie stellte sich vor, sie hätte eine Tochter, deren Ehemann grundsätzlich keinen Kuchen aß und deshalb nichts von der Hochzeitstorte essen würde, die sie für die beiden gebacken hätte. Sie stellte sich vor, wie die Tochter hin- und hergerissen sein würde und schon beschloss, auf die gesamte Hochzeitstorte zu verzichten, nur um ihren Liebsten nicht in diese Bredouille zu bringen und um ihre Mutter nicht zu enttäuschen.
»Das Kind wird sich doch zerreißen, weil es das Gefühl hat, nicht mehr loyal sein zu können zu denen, die es liebt, das arme Ding. Das müssen die Eltern doch verstehen!«
»Sagen Sie es Ihnen«, bestärkte er sie, während er dankbar den Kaffee entgegennahm. »Wenn Sie es Ihnen erklären, werden sie es sicher verstehen.«
Nachdem Herr Frank, der wirklich Gold wert war, wieder in seine Druckerei verschwunden war, vereinbarte Annemie einen Termin mit Herrn und Frau Schulze, die später vorbeikommen wollten, und beruhigte bis dahin die aufgelöste junge Braut. Sie solle sich jetzt doch erst einmal bitte überhaupt keine Sorgen machen.
»Das ist doch gar nicht gut für Ihre Haut. Sorgen machen die Haut ganz fahl. Sie wollen doch strahlen an Ihrem schönsten Tag!«
»Aber wie soll ich strahlen, wenn ich einen Vegetarier heirate? Die Metzgerei, das Fleisch, das ist ihr ganzer Stolz!« Nicole Schulze klang wirklich verzweifelt.
»Ja, wissen Ihre Eltern denn gar nicht, dass Ihr Verlobter Vegetarier ist?«
»Nein«, tönte es kleinlaut aus der Leitung. »Das hat sich bis jetzt irgendwie noch nicht ergeben. Ich habe es mir schon so oft vorgenommen! Für den Notfall hatte er jedenfalls immer eine Plastiktüte in der Hosentasche, da konnte er schnell mal was verschwinden lassen.«
»Oh, ich verstehe.« Annemie musste kurz nachdenken. »Dann ist es aber höchste Zeit, dass Ihre Eltern das erfahren.«
Danach rief sie Nina Winter an und betete, dass sie die Termine, die sie für sie beide gemacht hatte, einhalten würde. Ihre Stimme zitterte ein wenig, und sie
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