Wenn nicht jetzt, wann dann?
nachzusehen, ob es sich um ein teures Fabrikat handelte, setzte sie wieder ab und verzog leicht den Mund, als Annemie ihr Kaffee einschenkte.
»Danke, danke, das reicht schon. Zu viel Säure bekommt meinem Magen nicht. Ich nehme nicht an, dass Sie hier auf säurearmen Kaffee achten?«
Annemie kam gar nicht dazu zu antworten. Während sie noch überlegte, ob sie die Packung überhaupt gesehen hatte, winkte Frau Hartman schon großzügig ab.
»Dachte ich mir. Also. Wie gedenken Sie meiner Tochter beizubringen, dass sie so heiraten wird, wie ich es für angemessen halte?«
»Gar nicht«, hätte Annemie am liebsten gesagt, »ich gedenke nichts dergleichen zu tun, werte Frau Hartmann!« Aber natürlich wollte genau dieser Satz absolut nicht über ihre Lippen. Das war zur Eröffnung des Gesprächs vielleicht sogar klug. Nur leider fiel ihr in diesem Moment auch kein anderer Satz ein, mit dem sie hätte antworten können. Annemie schwieg, und Frau Hartmann fuhr einfach fort, so als hätte sie sowieso keine Antwort von ihr erwartet. Annemie hatte das Gefühl, immer mehr zusammenzuschrumpfen. Wo war ihre Stimme geblieben? Warum fiel ihr nichts ein?
»Wir sind nun einmal Teil in einer Gesellschaft und können nicht einfach so tun, als gäbe es nur uns. Was würde meine Cousine Andrea sagen, wenn nur meine Schwester Susanne eingeladen wird und sie nicht? Und warum sollten Susannes Kinder nicht mit dabei sein? Es ist schließlich der gleiche Verwandtschaftsgrad. Kurzum, es geht absolut nicht so, wie meine Tochter sich das vorstellt. Man kann mit einer Hochzeit nicht alle derart vor den Kopf stoßen.«
»Ich glaube gar nicht, dass Ihre Tochter irgendjemanden vor den Kopf stoßen möchte«, warf Annemie schüchtern ein, sie war froh, ihre Stimme wiedergefunden zu haben. »Sie hat eben eine bestimmte Vorstellung davon, wie sie gerne heiraten würde. Und es ist schließlich ihre Hochzeit. Ihr großer Tag.«
»Sie sagen es: ›Ihr großer Tag‹. Und nicht: ›Ihr kleiner Tag‹!«
»Ich meine, es ist doch …«
»Was Sie meinen, interessiert mich herzlich wenig, nichts für ungut, Frau … wie war noch mal der Name?«
Bevor Annemie ein zaghaftes »Hummel« beisteuern konnte, redete Frau Hartmann schon weiter und Annemie fühlte sich noch kleiner.
»Sie kennen weder unsere Familie noch unsere Gepflogenheiten. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass meine Tochter nach diesen Gepflogenheiten heiratet. Ich sehe, dass Sie sich darüber noch nicht viele Gedanken gemacht haben, vielleicht sind Sie dazu auch nicht in der Lage, doch das ist Ihre Aufgabe.«
»Aber Ihre Tochter …«, Annemies Versuch, Frau Hartmann mit mittlerweile hochrotem Kopf zu sagen, dass ihre Tochter zu keinem Kompromiss bereit war, wurde sofort vehement unterbrochen.
»Ich weiß nicht, warum Sie meinen, mich ständig unterbrechen zu müssen, aber ich bin Ihr Auftraggeber und Sie sind mein Dienstleister, sehe ich das richtig? Also, handeln Sie bitte in meinem Sinne.«
Sie erhob sich und sah Annemie streng an.
»Aber Ihre Tochter hat uns den Auftrag für die Hochzeit gegeben. Ihre Tochter ist unsere Auftraggeberin.«
Annemie wusste nicht, woher sie den Mut nahm, dieser Frau noch einmal zu widersprechen. In ihrem Innersten tobten Scham und Wut und Tränen miteinander und rangen darum, an die Oberfläche zu kommen. Irgendwie gelang es Annemie, trotzdem weiterzuatmen, lediglich noch röter zu werden, als sie es sowieso schon war, und noch ein wenig durchzuhalten. Nur noch ein wenig, sagte sie sich. Gleich ist es vorbei. Gleich.
Frau Hartmanns Blick wurde eine Spur kälter, und mit eisiger Stimme sagte sie so leise, dass Annemie förmlich die Eiszapfen klirren hörte: »Der Auftraggeber ist meines Wissens nach immer der, der zahlt. Und das ist traditionellerweise die Familie der Braut.«
Damit rauschte sie hinaus.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sank Annemie in sich zusammen und begann am ganzen Körper zu zittern. Das hatte sie ja ordentlich vermasselt. Was sollte sie jetzt bloß tun? Sie konnte doch unmöglich die Tochter darin bestärken, gegen den Wunsch ihrer Mutter zu handeln und eine Hochzeit ohne ihre Mutter und ohne ihre Familie zu feiern. Aber sie konnte die Tochter so gut verstehen. So gut! Am liebsten hätte sie die Tochter angerufen und ihr gesagt, wie gut sie sie verstünde. Dann hätte sie am liebsten Liz angerufen und sie gefragt, was sie nun bloß machen solle, oder Herrn Frank. Aber sie konnte doch nicht immer
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